Von Stephen Wilmot

FRANKFURT (Dow Jones)--Das Monopol auf die weltweit leistungsstärksten Lithographiemaschinen zur Chip-Herstellung hat ASML einerseits zu einem Liebling bei den Investoren gemacht, andererseits aber auf ein geopolitisches Schlachtfeld geführt. Je mehr sich die US-Regierung Sorgen über Chinas Ambitionen in der Chipindustrie macht, desto mehr Anlagen zur Herstellung von Halbleitern scheint die Volksrepublik zu ordern.

Wenn ASML nun in der nächsten Woche seine Finanzzahlen für das vierte Quartal vorlegt, wird eine der wichtigsten die Umsatzquote sein, die im Handel mit China erzielt wurde. Im dritten Quartal lag sie bereits bei außerordentlichen 46 Prozent, nachdem sie in den ersten drei Monaten 2023 gerade einmal 8 Prozent erreicht hatte.

Ein Grund für den rasanten Anstieg war die Abschwächung der Nachfrage aus westlichen Ländern, so dass ASML die Möglichkeit hatte, chinesische Bestellungen aufzuholen. Ein weiterer Grund waren die neuen Exportkontrollen. Während es dem Unternehmen nie erlaubt war, seine hochentwickelten "Extrem-Ultraviolett"-Maschinen nach China zu liefern, schlossen sich im vergangenen Jahr die Niederlande und Japan den USA an und untersagten auch den Verkauf einiger weniger hochmoderner Geräte nach China. Dortige Chiphersteller dürften sich also beeilt haben, die Geräte noch zu beschaffen, bevor die Beschränkungen in diesem Monat in Kraft traten.

Auch wenn die Verbote gelten, könnte ASML in diesem Jahr einen starken Chinaabsatz verzeichnen. Laut Unternehmen fallen nämlich nur 10 bis 15 Prozent seiner Lieferungen in das Land darunter. Der Großteil des Geschäfts mit chinesischen Chipherstellern betrifft ausgereifte Technologien, die noch im Regulierungsrahmen liegen. Bei fortschrittlicheren Anwendungen kann China möglicherweise mehrere Maschinen der älteren Generation einsetzen, um ähnliche Ergebnisse zu erzielen wie mit den neueren Anlagen, die es nicht kaufen kann. Das könnte dem Neugeschäft weiteren Schub geben.


China importiert mehr Chips als Öl - noch 

China investiert aggressiv in neue Industrien wie Elektroautos und Windkraftanlagen, die jeweils viele Halbleiter benötigen. Das Land bezieht noch immer das Gros des eigenen Bedarfs von westlichen Herstellern: Derzeit werden mehr Mikrochips als Öl in die Volksrepublik importiert. Peking ist jedoch bestrebt, sich selbst zu versorgen, und die Bemühungen haben die Sorge der USA, dass China mit westlicher Chiptechnologie gleichziehen könnte, nur noch verschärft.

Firmen, die Chips nach China verkaufen, werden zunehmend durch einheimische Anbieter ersetzt. Als UBS ein beliebtes Elektrofahrzeug des Herstellers BYD in seine Einzelteile zerlegte, stellte sich heraus, dass 36 Prozent der Halbleiter im Antriebsstrang von heimischen Zulieferern stammten. Die weltweit führenden Anbieter von Chips für den Antriebsstrang, Infineon aus Deutschland, STMicro aus der Schweiz und Onsemi aus den USA, dürften also unter dem Vormarsch der chinesischen Elektrofahrzeuge leiden.

Nicht so einfach ersetzen kann China aber die Maschinen, die es zur Herstellung von Chips braucht. Hier ist das Land daher auf ASML und Konkurrenten wie Applied Materials angewiesen. Aus diesem Grund sind die Exportkontrollen so heikel. So äußerte der chinesische Handelsminister Wang Wentao nach Angaben seines Ministeriums in der vergangenen Woche in einem Telefonat mit US-Handelsministerin Gina Raimondo "ernste Bedenken" mit Blick auf die Beschränkungen der USA für den Export von Lithographieanlagen Dritter in sein Land.

Zwar gibt es kaum Anzeichen dafür, dass die Maßnahmen ASML schaden, trotzdem können sich die Anleger nicht entspannen. Zum einen ist das zugrunde liegende Nachfrageniveau in China mittlerweile schwer abzuschätzen. Selbst wenn die Industriestrategie des Landes viele Lithographiemaschinen erfordert, geht jeder davon aus, dass das Land mit Blick auf mögliche künftige Beschränkungen zu viele Bestellungen getätigt haben dürfte. Dies birgt das Risiko eines plötzlichen Nachfrageeinbruchs.


   Druck aus den USA zwingt China zu einem eigenen Chip-Ökosystem 

Längerfristig werden die Exportkontrollen China überdies dazu zwingen, sein eigenes Halbleiter-Ökosystem zu entwickeln. Das ist eine große Herausforderung, vor allem ohne Zugang zu den etablierten Lieferketten in Europa, Japan und den USA. Aber selbst wenn es China gelingen sollte, nur die älteren Lithographiemaschinen nachzubauen, würde dies westliche Anbieter um eine wichtige Einnahmequelle bringen.

Allerdings haben es nicht einmal die fortschrittlichsten Konkurrenten von ASML geschafft, seine Extrem-Ultraviolett-Anlagen zu kopieren. Und so hat das niederländische Unternehmen ein Monopol auf eine der technischen Grundlagen für die Chips, die es für Anwendungen der künstlichen Intelligenz braucht. Dies ist einer der Gründe, warum die ASML-Aktie mit dem 33-fachen des voraussichtlichen Gewinns gehandelt wird und damit nicht nur einen Aufschlag gegenüber den Wertpapieren anderer Unternehmen genießt, sondern derzeit das wertvollste Technologieunternehmen in Europa ist.

Doch die Marktdominanz, die das Unternehmen für Anleger so attraktiv macht, hat ASML auch mitten in den Chipkrieg zwischen den USA und China gebracht. Dies ist eine unerwünschte Entwicklung, auch wenn sie den Finanzergebnissen bisher Auftrieb gegeben hat. ASML ist aber nicht darauf ausgelegt, ein geopolitischer Spielball zu werden.

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

DJG/DJN/rio/sha

(END) Dow Jones Newswires

January 16, 2024 06:32 ET (11:32 GMT)