Von Stephen Wilmot

PEKING (Dow Jones)--Jahrelang war China das Land der Verheißung für internationale Autobauer. Diese goldene Ära scheint sich nun dem Ende zuzuneigen. Der jüngste sprunghafte Anstieg der Covid-Fälle im Land sowie die Proteste vom vergangenen Wochenende gegen die Null-Covid-Politik des chinesischen Staatschefs Xi Jinping erhöhen das Risiko weiterer Lieferunterbrechungen und schwankender Fahrzeugverkäufe.

Die längerfristige Bedrohung ist jedoch der Wettbewerb: Chinas Elektroautoindustrie, insbesondere BYD, verfügt über ausgereifte Produkte, die auch chinesische Verbraucher kaufen wollen. Weil der Absatz von Elektrofahrzeugen schneller wächst als der Gesamtmarkt, gewinnen Chinas Unternehmen Marktanteile.

Dies bricht mit dem Muster der letzten zwei Jahrzehnte, als vor allem deutsche Automarken die Hauptnutznießer des boomenden chinesischen Marktes waren. Ihre Joint Ventures mit einheimischen Autoherstellern wuchsen schnell und erzielten zweistellige Gewinnspannen. Außerdem exportierten sie Teile und Fahrzeuge der Spitzenklasse nach China. Der Gesamtbeitrag des Landes zu ihren Gewinnen ist nicht bekannt, aber Schätzungen aus der Zeit vor der Pandemie belaufen sich auf bis zu 50 Prozent.


   Konzerne investieren wieder 

Die Unternehmen aus Deutschland investierten daraufhin wieder Geld in China: Einem kürzlich erschienenen Bericht des Forschungsunternehmens Rhodium Group zufolge entfallen auf VW, BMW und Mercedes-Benz, ehemals Daimler, zusammen mit dem Chemieunternehmen BASF 34 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen aus Europa in China zwischen 2018 und 2021. Dieser Trend setzte sich in diesem Jahr fort, als BMW seinen Anteil an seinem wichtigsten chinesischen Joint Venture auf 75 Prozent erhöhte. Jetzt macht sich Berlin, das sich bereits durch seine Nähe zu Moskau die Finger verbrannt hat, Sorgen über eine zu starke Abhängigkeit von China.

Detroit hat nie so sehr profitiert und hat daher auch weniger zu verlieren. General Motors erwirtschaftete in den letzten vier Quartalen nur 0,6 Milliarden US-Dollar an Erträgen aus China, verglichen mit 11,5 Milliarden US-Dollar aus dem Nordamerika-Geschäft, obwohl eines seiner chinesischen Joint Ventures das beliebte Kleinstauto Hongguang Mini EV herstellt. Den Anlegern ist der Unterschied nicht entgangen. Die GM-Aktie wurde früher mit einem Bewertungsabschlag gegenüber den Luxusherstellern Mercedes-Benz und BMW gehandelt, was das Kurs-Gewinn-Verhältnis anbelangt. Im Verhältnis zu VW lag die Aktie beim KGV gleichauf. Jetzt verzeichnet das US-Unternehmen einen beträchtlichen Aufschlag auf alle drei. Dies begann während der Pandemie-Ära der Meme-Aktien, hat aber auch während des diesjährigen Ausverkaufs an den Börsen angehalten.


    Hohe Kosten in Europa 

Natürlich ist China nicht der einzige Grund: Die Anleger machen sich auch Sorgen um den Absatz und die Betriebskosten in Europa, während sich die Region vom russischen Pipeline-Gas entwöhnt. Außerdem ist GM in einer viel besseren Position als ausländische Marken, um die Subventionen für Elektroautos im Rahmen von Präsident Bidens Gesetz zur Reduzierung der Inflation zu nutzen. Dennoch ist der größte Automarkt der Welt wichtig, obwohl bei den Marktanteilsverlusten globaler Marken keine Trendwende in Sicht ist. Infotainment und andere Software scheinen ein kritischer Bereich zu sein. Lokale Lösungen sind gefragt, zum Teil weil die digitale Technologie geopolitisch sensibel ist. Letztendlich verschafft dies jenen Akteuren einen Vorteil, die bereits vor Ort sind.

Vergangenen Monat erklärte VW, dass es zusammen mit dem chinesischen Technologieunternehmen Horizon Robotics rund 2,5 Milliarden US- Dollar in die Entwicklung von Software und Chips für das autonome Fahren investieren werde. Anstatt Know-how nach China zu bringen, setzt Europas größter Autohersteller nun auf chinesische Technologie. "Die deutschen Unternehmen sind nicht mehr die Innovationstreiber der Branche", sagt Patrick Hummel, Analyst bei UBS.

Tesla kann seine satten Gewinne in China länger verteidigen als die deutschen Konkurrenten, geschützt durch seinen Status als heutiger Technologieführer. Doch auch das Unternehmen zeigt Abnutzungserscheinungen: Im Oktober senkte es die Preise in China. Nach einem langen, reibungslosen Lauf muss sich Deutschland auf einen sehr viel schwierigeren Weg in China einstellen. Irgendwann könnten die Anleger fordern, dass sich das Unternehmen stärker auf den amerikanischen Markt konzentriert und die Effizienz seiner Fabriken in der Heimat steigert. Die Fahrt könnte noch ungemütlich werden.

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November 30, 2022 04:05 ET (09:05 GMT)