Die deutsche Industrie findet neue Wege für den Transport von Kohle und Chemikalien, da die immer häufigeren Niedrigwasserstände des Rheins die größte europäische Volkswirtschaft beeinträchtigen.

Der 1.230 km (764,29 Meilen) lange Fluss, ein weltberühmtes Touristenziel und ein Teil der nationalen Psyche, ist die Handelsader für 80% der Binnenschifffahrt der deutschen Wirtschaft, einschließlich Erdöl und Erdgas.

Nach den ausgedehnten Niedrigwasserperioden in den Jahren 2018 und 2022 sind die Pegelstände des Rheins in Teilen des Flusses jedoch wieder zu niedrig, als dass Frachtschiffe voll beladen fahren könnten, obwohl sie das Äquivalent von bis zu 150 Lastwagen aufnehmen können.

Bei Kaub < WL-KAUB>, dem kritischen Engpass für Rheinschiffe, fiel der Wasserstand Anfang dieser Woche auf den niedrigsten Stand des Jahres.

Im vergangenen Jahr wurden 182 Millionen Tonnen Güter über die deutschen Wasserstraßen transportiert. Das ist ein Rückgang von 6,4 % gegenüber 2021 und der niedrigste Stand seit der deutschen Wiedervereinigung.

Angesichts der schweren Hitzewellen in Südeuropa rechnet die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes damit, dass sich der Abwärtstrend fortsetzen wird.

Der deutsche Chemiekonzern Covestro transportiert mehr als 30 % seiner Fertigprodukte und erhält den Großteil der Rohstoffe für deren Herstellung über den Rhein.

"Der Klimawandel und das zunehmende Auftreten von Niedrigwasser stellen Covestro und andere Unternehmen vor große Herausforderungen", sagte Uwe Arndt, der die Rhein-Taskforce von Covestro leitet.

Deshalb hat der Konzern zwei Niedrigwasserschiffe gechartert, die Kunden auch dann mit Salzsäure versorgen können, wenn der Rheinpegel in Köln auf 0,40 Meter fällt.

Etwa 260 km flussabwärts hat die BASF ebenfalls damit begonnen, ein Niedrigwasserschiff für die Versorgung ihres Drehkreuzes Ludwigshafen einzusetzen, das etwa 40% seiner Rohstoffe über den Rhein bezieht.

Bei brennbaren und giftigen Chemikalien ist der Fluss oft die einzige praktikable Transportmöglichkeit.

Aber Kaubestände unter einem Meter bedeuten, dass die traditionellen Binnenschiffe ihre Ladung um mehr als die Hälfte auf unter 1.500 Tonnen reduzieren müssen, so die Schifffahrtsgenossenschaft DTG.

Das neue Niedrigwasser-Tankschiff der BASF - die Stolt Ludwigshafen - kann jedoch immer noch eine Ladung von 2.300 Tonnen befördern und bei einem extrem niedrigen Pegelstand von 30 Zentimetern (11,8 Zoll) durch den Engpass von Kaub fahren.

Barbara Hoyer, Vizepräsidentin der BASF, sagte, dass der weltweit führende Chemiekonzern auf den Rhein angewiesen sei, da die meisten flüssigen Rohstoffe, einschließlich Naphtha, über den Fluss transportiert werden.

"Wir brauchen viel, um die Produktion am Laufen zu halten, und es ist sehr schwierig, diese Mengen zu transportieren", sagte sie.

Thyssenkrupp, das während der Trockenheit 2018 höhere Gewalt erklärte, weil es nicht mehr genügend Rohstoffe erhielt, hat langfristig einen Zug gechartert, der täglich rund 3.000 Tonnen Kohle liefern kann, die für die Stahlherstellung benötigt werden.

ARTERIE DER WIRTSCHAFT

Die Auswirkungen des Niedrigwassers beschränken sich nicht auf die Großindustrie. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt schrumpfte 2018 um 0,4 %, weil der Rheinverkehr abnahm.

Als Faustregel gilt: Wenn der Wasserstand in Kaub 30 Tage in Folge unter 78 Zentimeter fällt, wie es 2022 und 2018 der Fall war, sinkt die Industrieproduktion um 1 %, so das Kieler Institut für Weltwirtschaft.

Die Deutsche Bank, die bereits für das Jahr 2023 einen Rückgang der deutschen Wirtschaft um 0,3 % erwartet, rechnet damit, dass eine längere Periode niedriger Wasserstände die Erholung des Landes von der Rezession verzögern könnte.

DTG-Vorstandsmitglied Roberto Spranzi sagte jedoch, dass die Nachfrage nach Schiffen im Einklang mit der geringeren Wirtschaftstätigkeit zurückgegangen ist, was bedeutet, dass die Auswirkungen der niedrigen Wasserstände überschaubarer sein könnten als in den vergangenen Jahren.

GEWINNER UND VERLIERER

Für die Industrie werden die Gewinnmargen durch höhere Schifffahrtsraten und die Kosten für das Chartern von Niedrigwasserschiffen gedrückt.

Die Logistikunternehmen profitieren jedoch von der steigenden Nachfrage nach Schiffen, die an niedrigere Flusspegel angepasst sind.

"Wir gehen davon aus, dass die extremen Wasserstände auf dem Rhein aufgrund des Klimawandels häufiger auftreten werden", sagte Maickel Uijtewaal, Geschäftsführer von Stolt-Nielsen.

Das Unternehmen sei mit mehreren Kunden mit Standorten am oder in der Nähe des Rheins in Gesprächen über Niedrigwasserschiffe, sagte er und fügte hinzu, dass die Unternehmen um die Integrität ihrer Lieferketten besorgt seien.

Die deutsche HGK Shipping, eine Einheit der Kölner Stadtwerke, baut drei solcher Schiffe für Kunden, darunter den globalen Getreidehändler Archer-Daniels-Midland Co.

Ihr CEO Steffen Bauer sagte, dass Energie-, Chemie- und Stahlunternehmen nur begrenzte Alternativen für den Transport großer Mengen von Rohstoffen hätten.

"Es fehlt kurz- und mittelfristig an Kapazitäten, Infrastruktur und Personal, um den Transport auf Schiene und Straße zu verlagern", sagte er.

Das Chemieunternehmen Evonik, das ebenfalls zu den Nutzern von Niedrigwasserschiffen gehört, stimmte zu, dass das deutsche Schienennetz umfassend modernisiert werden müsse und dass sich die führende Industrienation nicht auf ein zweitklassiges Schienennetz verlassen könne.