Paris (Reuters) - Der Pariser Börsenbetreiber Euronext warnt vor Turbulenzen an den Finanzmärkten im Falle eines Sieges extremer Parteien bei der Parlamentswahl am Sonntag.

Frankreichs Wirtschaftsmodell mache das Land anfällig für steigende Zinsen für Staats- und Unternehmensanleihen, sagte Euronext-Chef Stephane Boujnah am Dienstag dem Sender France Inter Radio. "Um weiterhin ein System zu finanzieren, in dem 58 Prozent unserer Wertschöpfung in die öffentlichen Ausgaben fließen, müssen wir uns in großem Umfang beim Rest der Welt verschulden", fügte er hinzu. "Und wir brauchen den Rest der Welt, um uns Kredite zu geben."

Investoren und Ratingagenturen haben sich bereits besorgt über Ankündigungen der als Wahlsieger gehandelten rechtspopulistischen Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen geäußert. Diese will trotz hoher Staatsschulden die Mehrwertsteuer auf Energie von 20 Prozent auf 5,5 Prozent senken. Standard & Poor's erklärte, dass dies die Kreditwürdigkeit Frankreichs weiter belasten könnte, nachdem die Bonitätswächter ihre Bewertung bereits im Mai gesenkt hatten. Je schlechter die Bonitätsnote, desto höher die Risikoprämie, die Investoren für den Kauf französischer Anleihen verlangen. Dadurch würde es für den Staat teurer, frisches Geld am Kapitalmarkt aufzunehmen. Wegen der sehr hohen Verschuldung strebt die EU-Kommission ein Defizitverfahren gegen Frankreich an.

"Wenn ein Team, das noch nie regiert hat, an die Macht kommt, herrscht totale Ungewissheit, eine völlige Unbekannte", sagte Boujnah, dessen Unternehmen auch Börsen in anderen europäischen Zentren wie Amsterdam und Mailand betreibt.

Präsident Emmanuel Macron hat nach heftigen Verlusten für seine liberale Partei Renaissance bei der Europawahl das Parlament aufgelöst und Neuwahlen angesetzt, die am 30. Juni und am 7. Juli stattfinden. Einer Umfrage der Ipsos-Wahlforscher zufolge kommt der RN mit seinen Verbündeten eine Woche vor der Wahl auf 35,5 Prozent, das linke Wahlbündnis Volksfront auf 29,5 Prozent. Macrons Allianz Ensemble mit seiner Partei Renaissance landet demnach nur auf dem dritten Platz mit 19,5 Prozent.

Bundeskanzler Olaf Scholz blickt mit Unbehagen auf die Parlamentswahl in Frankreich am kommenden Sonntag. "Ich mache mir Sorgen wegen der Wahlen in Frankreich", sagte der SPD-Politiker am Sonntag in der ARD. Er hoffe, dass nicht Le Pen mit ihrer Partei RN gewinne. "Aber darüber entscheiden die Französinnen und Franzosen."

(Bericht von Tassilo Hummel und Rene Wagner, redigiert von Ralf Banser - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)