PLANEGG/MÜNCHEN (dpa-AFX) - Der Wirkstoffforscher und Antikörperspezialist Morphosys hat 2020 sein erstes eigenes Medikament auf den Markt gebracht. Allein die Aussicht auf das Blutkrebs-Präparat hatte die Fantasie der Investoren beflügelt und der Aktie klare Zuwächse beschert. Mit dem Ausblick auf 2021 ist inzwischen an der Börse etwas Ernüchterung eingekehrt, doch gibt es weiter viele eingeschworene Morphosys-Fans unter den Analysten. Zur Lage des Unternehmens, was die Aktie macht und was die Branchenkenner sagen.

DAS IST LOS BEI MORPHOSYS:

Noch im zweiten Halbjahr 2020 lasen sich die Nachrichten von Morphosys mehr als verheißungsvoll. Die Blutkrebstherapie namens Monjuvi war in den USA im August zugelassen worden - zwei Monate später erhöhte der MDax-Konzern auch deshalb seine Jahresprognose für 2020.

Im Gesamtjahr konnte Morphosys seine Umsätze dann auf knapp 328 Millionen Euro fast verfünffachen - vor allem dank einer hohen Meilensteinzahlung des Partners Incyte, mit dem sich das Unternehmen unter anderem die Monjuvi-Vermarktungsrechte in den USA teilt. Das Medikament selbst steuerte in den wenigen Monaten auf dem US-Markt Umsätze von umgerechnet 18,5 Millionen Euro bei.

Dass der Vorstand nun 2021 mit enormer Vorsicht angeht und nur noch 150 bis 200 Millionen Euro Umsatz anpeilt, traf auf hohe Analystenerwartungen. Diese hatten mit weiteren Meilensteinen durch Incyte gerechnet, die aber nicht auf dem Plan stehen. Zudem beurteilten die Experten die implizierten Erwartungen für Monjuvi negativ. Die Enttäuschung ist insofern verständlich, da sich auch bei den Bayern seit der ersten positiven Stellungnahme der US-Arzneimittelbehörde FDA alles um das Mittel drehte. Bereits 2017 hatte die FDA dem Mittel den wichtigen Status "Therapiedurchbruch" verliehen.

Mit dem Medikament, das inzwischen in Kombination mit einem weiteren Präparat als Zweitlinientherapie bei erwachsenen Patienten mit dem diffusen großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL) zugelassen ist, will sich Morphosys von seinem Dasein als reiner Auftragsforscher befreien und sich als Hersteller etablieren.

Auf dieses Ziel hatte der MDax-Konzern aus der Nähe von München in den vergangenen Jahren gezielt hingearbeitet. Unterwegs musste sich Morphosys ausgerechnet einigen radikalen Brüchen stellen: So ging zunächst 2019 der Mitgründer und langjährige Morphosys-Lenker Simon Moroney von Bord. Ebenso unerwartet warf danach Finanzchef Jens Holstein das Handtuch und verließ Ende 2020 das Unternehmen - wie Moroney galt er als wichtige Antriebsfeder für den Unternehmenserfolg. Das neue, international gemischte Duo aus Morphoys-Chef Jean-Paul Kress und Holsteins Nachfolger Sung Lee wird sich nun erst einmal einspielen und für Vertrauen werben müssen.

Natürlich spielt aber auch Corona bei den weiteren Plänen des Vorstands eine wichtige Rolle. Morphosys stellt wegen der Restriktionen und dem Wiederanstieg der Corona-Infektionen in den USA ein schwieriges erstes Quartal in Aussicht. Aber auch die dort wütenden Winterstürme sorgten für Probleme. Denn dadurch waren die Vermarktungsaktivitäten erschwert und auch bereits begonnene Behandlungen torpediert worden.

Die Umsatzentwicklung bei Monjuvi dürfte daher auch in den kommenden Monaten am Markt mit Argusaugen betrachtet werden. Aktuell läuft noch der Zulassungsprozess in Europa, wo Incyte gemäß Vereinbarung die Vermarktung übernehmen würde.

Vielversprechende Ergebnisse gab es zuletzt auch mit einem anderen Kandidaten: Lizenzpartner GlaxoSmithKline hatte mit Otilimab, einem Morphosys-Antikörper, der eigentlich für die Behandlung bei rheumatoider Arthritis gedacht ist, Erfolge bei älteren Patienten mit einer schweren Covid-19-Infektion erzielt. Zudem stehen Daten aus einer Wirksamkeitsstudie zu Felzartamab an, ein Medikament, das bei Autoimmunkrankheiten und Knochenmarkkrebs getestet wird.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Nach der Veröffentlichung des Konzernausblicks überarbeiteten viele ihre Schätzungen und Kursziele. Auch aktuell - rund zwei Wochen nach der Mitteilung - ziehen noch immer weitere Branchenkenner nach. Am überwiegend positiven Votum für die Aktie ändert sich aber nichts.

Von den von Bloomberg aufgelisteten 18 Analysten stimmen 12 für einen Kauf, sechs sind neutral. Eine Verkaufsempfehlung gibt es nicht. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 114,75 Euro.

Besonders deutlich kürzte Vitcor Floc’h vom Investmenthaus Bryan Garnier das Ziel - er bleibt jedoch gleichzeitig einer der größten Optimisten, denn er traut der Aktie mit 115 Euro noch immer ein Aufwärtspotenzial von weit mehr als 50 Prozent zu. Zwar zeigte auch er sich enttäuscht vom Umsatzausblick für Monjuvi - dennoch gebe es einige gute Gründe optimistisch zu sein.

Hierzu zählt er das nach Unternehmensangaben positive Feedback der Monjuvi-Bezieher, ebenso wie den Fakt, dass der Konzern die Forschung an dem Mittel auch als Erstlinientherapien bei DLBCL und bei anderen Indikationen vorantreibe. Ein wichtiger Faktor bei der Etablierung des Mittels dürften aus Sicht des Experten zudem die bald anstehenden längerfristigen Studiendaten bei Blutkrebs sein. Hinzu kämen die Aussichten auf einen möglichen Einsatz des GSK-Präparats Otilimab bei Covid-19 und die anstehenden Daten zu Felzartamab, die ein möglicher Kurstreiber werden könnten.

Goldman-Analyst Graig Suvannavejh übt sich dagegen vorerst noch in Zurückhaltung. Morphosys müsse sich weiter erst einmal beweisen, konstatiert der Experte, weshalb er die Aktie weiter mit "Neutral" einstuft. Das Kursziel senkte er zuletzt auf 88 Euro. Für eine positivere Einschätzung müsste der Monjuvi-Absatz in den USA merklich steigen, befindet der Analyst. Auch fehlt es dem Experten bei Morphosys an Bewegung beim Ausbau des Geschäfts, etwa durch Übernahmen oder durch Einlizensierungen von Medikamenten. Mit Felzartamab habe Morphosys zwar kurzfristig die besten Chancen, die eigene Medikamentenpipeline weiter voranzubringen. Doch auch hier müssten zunächst die kommenden Daten überzeugen, so der Experte.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Der als schwach eingestufte Ausblick ließ die Morphosys-Aktie Mitte März purzeln - binnen eines Handelstages verlor das Papier fast elf Prozent, zeitweise hatten die Verluste sogar noch höher gelegen. Die Kurszielsenkungen der Analysten verschärften in den nächsten Tagen den Druck. Mit 71,62 Euro erreichte die Aktie erst kürzlich den niedrigsten Kurs seit dem Corona-Tief im März 2020.

Aktuell notiert das Papier bei knapp 75 Euro. Seit Jahresbeginn hat die Aktie mehr als ein Fünftel eingebüßt. Und seit Ex-Finanzchef Holstein Ende September seinen Rücktritt erklärte, sind rund ein Drittel dahin. Dabei konnten Anleger 2020 durchaus gutes Geld mit dem Papier machen - vorausgesetzt, sie waren zum richtigen Zeitpunkt ein- und wieder ausgestiegen.

So ging es etwa vom Corona-Tief im März bei 65,25 Euro bis Mitte Juli auf mehr als 125 Euro hoch. An das bereits im Januar noch vor dem Corona-Crash erreichte 20-Jahres-Hoch bei 146,30 Euro reichte die Aktie aber nicht mehr heran. Aufs Gesamtjahr 2020 gesehen stand nach dem holprigen Kursverlauf ein Abschlag von rund einem Viertel zu Buche.

Für längerfristige Anleger aber hat sich ein Engagement gelohnt. Seit Mitte 2016 hatte die Aktie an der Börse wieder Fahrt aufgenommen, später beschleunigt noch durch den sich abzeichnenden Zulassungsprozess für Monjuvi. Damals notierte das Papier noch knapp unter 40 Euro. Mit einer Marktkapitalisierung von aktuell 2,5 Milliarden Euro rangiert Morphosys im MDax bei den kleineren Werten./tav/knd/jha/