FRANKFURT (Dow Jones)--Die Risiken eines digitalen Euro für die Stabilität des Finanzsystems sind nach Aussage von Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführers des Bundesverbands deutscher Banken (BdB), nicht ausreichend erforscht. Herkenhoff schrieb in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung: "Die Einführung eines neuen Geldes muss intensiv auf mögliche Risiken für ein intaktes Finanzsystem untersucht werden - mit klar definierten Rollen für Kreditinstitute und Zentralbank. Bislang ist nicht bekannt, dass diese Risiken ausreichend erforscht worden wären oder dass die europäischen Institutionen eine entsprechende Untersuchung beauftragt hätten."

Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte kürzlich beschlossen, mit konkreten Planungen für einen digitalen Euro zu beginnen, der auch von privaten Haushalten gehalten werden kann. Mögliche Risiken eines solchen digitalen Zentralbankgelds - der digitale Euro wäre das elektronische Pendant zum Bargeld - liegen Herkenhoff zufolge auf der Hand: "Der digitale Euro dürfte im Wesentlichen aus den Einlagen der Bürgerinnen und Bürger bei den Kreditinstituten gespeist werden."

Die Kunden hätten also die Möglichkeit, privat geschöpftes Giralgeld in Zentralbankgeld umzuwandeln. Dadurch würde sich die Liquidität der Institute verringern - "mit negativen Folgen für die Möglichkeit der Banken, Kredite zu vergeben", wie Herkenhoff anmerkt. Im ungünstigsten Fall, so schreibt er weiter, könnte der digitale Euro eine Art digitalen Bank Run auslösen. "Nämlich dann, wenn alle Kunden im Fall einer Krise ihr Geld plötzlich abziehen wollen und es in digitales Zentralbankgeld umschichten könnten."

Lediglich eine Obergrenze in Höhe eines dreistelligen Euro-Betrags vorzusehen und nicht gesetzlich zu fixieren, hielte Herkenhoff für "höchst problematisch". "Ein rechtssicheres, niedriges dreistelliges Haltelimit sowie ein Verzinsungsverbot, um den übermäßigen Abfluss von Einlagen zu verhindern, könnte dagegen verhindern, dass aus dem digitalen Euro ein stabilitätspolitisches Risiko wird."

Davon abgesehen wirft die Einführung des digitalen Euro Herkenhoff zufolge grundsätzliche Fragen nach der künftigen Rolle der EZB auf, aber auch nach den Kosten, die mit seiner Einführung einhergehen. "Aus Sicht der privaten Banken ist klar: Es kann nicht Aufgabe der EZB sein, ein staatliches Bezahlverfahren zu betreiben", schrieb er. Die obligatorischen Vertriebswege für den digitalen Euro sollten auf privatwirtschaftlichen Zahlungslösungen der Kreditinstitute basieren. Die EZB wiederum sollte sich darauf beschränken, das Zahlungsmittel herauszugeben und die grundlegenden technischen Standards zu definieren.

Zu berücksichtigen sind nach seiner Aussage auch die erheblichen Kosten eines digitalen Euro, die "in weiten Teilen" vom Handel und den Banken getragen werden müssten.

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November 02, 2023 04:35 ET (08:35 GMT)