Tokio/Berlin (Reuters) - Japans Zentralbank erhöht erstmals seit 17 Jahren den Leitzins und vollzieht damit eine historische Kehrtwende.

Nach acht Jahren endet zugleich die Negativzinspolitik. Die Bank of Japan (BoJ) gab am Dienstag ihre seit 2016 gefahrene Linie auf, eine Gebühr von 0,1 Prozent auf Überschussreserven zu erheben, die Banken bei ihr parken. Sie legte den Tagesgeldsatz als neuen Leitzins fest. Er soll in einer Spanne von 0 bis 0,1 Prozent gehalten werden, indem die Notenbank unter anderem 0,1 Prozent Zinsen auf Einlagen zahlt. Sie vollzieht damit als letzte große Zentralbank weltweit die Zinswende nach oben, während die Fed in den USA und die Europäische Zentralbank (EZB) nach teils aggressiven Erhöhungen im laufenden Jahr schon wieder eine erste Senkung anpeilen.

Notenbankchef Kazuo Ueda sprach von einer Rückkehr zu einer "normalen Geldpolitik", die wie bei anderen Zentralbanken auf kurzfristige Zinssätze abziele. Auch wenn Insider der Nachrichtenagentur Reuters bereits vor dem Zinsentscheid Hinweise auf eine womöglich bevorstehende Erhöhung gegeben hatten, ist die Entscheidung dennoch ein Paukenschlag. Auch Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank zeigt sich beeindruckt: "Wow, sie hat es getan", sagte er über den geldpolitischen Schritt. "Dass nun aber der Weg der Fed und EZB eingeschlagen wird - beide Notenbanken hoben in Rekordgeschwindigkeit den Leitzins an - ist unwahrscheinlich", fügte er hinzu.

Die japanischen Währungshüter werden auch die umstrittene Kontrolle der Renditekurve (YCC) aufgeben. Letztere war seit 2016 in Kraft und deckelte die langfristigen Zinssätze bei null. Die BoJ wird zwar weiterhin Staatspapiere erwerben, doch wird sie die Höchstgrenze für ihre Käufe japanischer Staatsanleihen reduzieren. Zugleich sollen riskante Papiere wie börsengehandelte Fonds (ETFs) und japanische Immobilieninvestmentfonds (J-REITs) nicht mehr angefasst werden. Trotz der geldpolitischen Kehrtwende dürften die Finanzierungsbedingungen noch lange sehr locker bleiben, meint Ökonom Bastian Hepperle von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank.

YEN UNTER DRUCK

Die BoJ hat im großen Stil Anleihen aufgekauft, um ihre ultra-lockere Politik zu verteidigen. Kritiker haben ihr vorgeworfen, mit der YCC die Marktliquidität auszuhöhlen und einem unerwünschten Kursrückgang des Yen Vorschub zu leisten. Trotz der Abkehr der BoJ von ihrer ultra-lockeren Geldpolitik war die Währung des Landes unter Druck. Im Gegenzug stieg der Dollar um 0,7 Prozent auf 150,15 Yen. In Tokio verabschiedete sich der Nikkei-Index rund 0,7 Prozent fester mit 40.004 Punkten. Auch nach der ersten Zinserhöhung seit 2007 bleibe unklar, wie es nun weitergehe, erläuterte Commerzbank-Analyst Michael Pfister. Laut Martin Güth, Investmentanalyst bei der LBBW, vermittelte die BoJ nicht das Bild, dass die Beschlüsse der Anfang einer entschlossenen Zinserhöhungskampagne seien: "Ohnehin gab es auch zwei Gegenstimmen im neunköpfigen Gremium gegen den heutigen Entscheid. Diese Punkte sind wohl der Grund dafür, dass die Finanzmärkte auf den Zinsentscheid mit einer Abwertung des Japanischen Yen und leicht sinkenden langlaufenden Staatsanleiherenditen reagierten."

Mit Toyoaki Nakamura und Asahi Noguchi stimmten zwei Notenbanker gegen die Zinsanhebung. "Nakamura betonte in diesem Kontext, er hätte vor einer Zinsanhebung lieber noch auf klarere Hinweise für steigende Löhne auch bei den kleineren und mittelgroßen Unternehmen warten wollen", erläuterte NordLB-Analyst Tobias Basse. Aktuelle Kommentare von Notenbank-Chef Ueda zeigten jedoch, dass vor allem die jüngsten Lohnforderungen den Ausschlag für die Zinsanhebung gegeben haben dürften.

Die Notenbank hatte ein kräftiges Lohnwachstum zur Bedingung für eine geordnete Abkehr von der jahrelangen ultra-lockeren Geldpolitik gemacht. Die Tarifverhandlungen in den Großbetrieben endeten mit einer Lohnerhöhung von 5,28 Prozent. Das ist der größte Schluck aus der Lohnpulle seit Anfang der 90er Jahre. Notenbankchef Ueda machte deutlich, dass die BoJ den weiteren Zinspfad an den Inflationsaussichten ausrichten wird.

Im Gegensatz zu anderen führenden Industrienationen kämpft Japan nicht mit einem zu starken Preisauftrieb. Vielmehr steckte das Land in einer langen Phase der Deflation - eine Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und Löhnen, die die Wirtschaft am Boden hielt. Mittlerweile liegt die Teuerungsrate allerdings seit über einem Jahr über der Zielmarke der BoJ von zwei Prozent. "Die Zinsanhebung ist das Signal für Japans Wirtschaft, dass aller Voraussicht nach das Ende der Deflation gekommen ist", so das Fazit von Jochen Stanzl, Chefmarktanalyst bei CMC Markets.

(Bericht von Tetsushi Kajimoto, Chang-ran Kim, Satoshi Sugiyama, Mariko Katsumura, Sam Nussey und David Dolan, geschrieben von Reinhard Becker, Mitarbeit Frank Siebelt, Ankur Banerjee und Stefanie Geiger, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

- von Leika Kihara