Sehr geehrter Professor Schwab
Exzellenzen
Sehr geehrte Damen und Herren

In einer Welt, die keinen Moment lang innehält und die ohne Unterbruch Entscheide von grosser Tragweite fordert, sind Momente der Reflexion und des aufeinander Zugehens wichtig.

Austausch und Verständigung - deshalb sind Sie in die Schweizer Bergwelt gereist. In unser Land, in dem ich Sie herzlich willkommen heisse. Die Schweiz ist stolz darauf, ein traditioneller Ort des Dialogs zu sein. Seien dies politische oder humanitäre Dialoge an internationalen Konferenzen auf Schweizer Boden. Seien es Beiträge zum Frieden in unserer Rolle als Vermittler. Auf die guten Dienste der Schweiz ist Verlass - heute und in Zukunft.

Hier in Davos steht der wirtschaftliche Dialog im Vordergrund. Es geht dabei um Fragen, die keine Landesgrenzen kennen. Ihr Programm ist dicht, die versammelte Kompetenz hoch. Lassen Sie mich deshalb zur Einstimmung

nur drei kurze Denkanstösse in die Runde geben:

1. Das Bühnenbild, vor dem wir stehen.

2. Der Umgang mit Veränderungen und

3. der Einklang von Gegensätzlichem.

1. Das Bühnenbild

Wir treffen hier in Davos in einer bewegten Zeit zusammen. Natürlich gibt es keine ruhigen Zeiten. Aber noch vor einem Jahr war die Stimmung doch optimistischer, schienen Ordnungen fester gefügt.

2015 brachte uns schier endlose Flüchtlingsströme, mörderischen Terrorismus, Wirtschaftskrisen. Aber auch anderes verunsichert: Schulden lähmen, Kriege wüten, Konflikte brennen. Und doch wäre es ein fataler Fehler, darauf mit Resignation statt mit Entschlossenheit zu reagieren. Denn das grosse Bühnenbild zeigt uns eben auch funktionierende Demokratien, leistungsfähige Industrien, aufblühende neue Märkte und Wachstum. Der technologische Fortschritt und somit die industrielle Entwicklung macht weder vor der Zeit noch vor irgendwelchen Grenzen Halt. Sie betrifft uns alle ganz direkt.

Weil Arbeit für möglichst viele Menschen letztlich die Existenzgrundlage moderner Gesellschaften ist, braucht die Wirtschaft Freihandel, flexible Arbeitsmärkte und Wirtschaftsfreiheit. Sie braucht zeitgemässe Infrastrukturen, ein hohes Bildungsniveau und soziale Sicherheit bei tiefer Verschuldung und unermüdlicher Innovation.

Das bedeutet, dass das Unternehmertum auf starke Staaten und Institutionen sowie auf eine Politik angewiesen ist, die sich darauf besinnt, wieder mehr zu ermöglichen, statt immer nur mehr zu verbieten. Die Realisierung der Chancen hängt wesentlich davon ab. Der Preis der Freiheit ist die Verantwortung. Und zum Erfolg gehören nicht nur bewährte bilaterale sondern auch, dass Welthandelsverträge gelingen und bestehen.

Das alles sind Voraussetzungen für Beschäftigung, Wachstum und Wohlstand Heute bremst jedoch Skepsis den Freihandel zurück. Man sucht Schutz im Protektionismus und vergisst, dass langfristig nur offene Märkte das Einkommen pro Kopf wachsen lassen.

2. Umgang mit Veränderungen

Der Aufruf des Forums , die vierte industrielle Revolution zu meistern, ist ein Aufruf, Veränderungen zu akzeptieren und damit umgehen zu können.Es gibt Veränderungen, die lösen Ängste aus, vor allem Technologieängste. So führte die erste industrielle Revolution mit dem Aufkommen der maschinellen Produktion. zur Furcht der Arbeiter um ihre Existenz. Auch die zweite und dritte Revolution, das Fliessband und die Computerisierung, schürten vergleichbare Ängste bis hin zu Revolten. Tatsächlich waren die Übergänge in neue Epochen für viele Menschen nachteilig, schwierig und schmerzlich. 'Fortschritt gleich Rückschritt' war denn auch häufig das erste Fazit.

Die Geschichte lehrt uns jedoch, dass die Globalisierung unter dem Strich deutlich mehr Segen als Fluch gebracht hat. Allem voran der weltweite Rückgang von Hunger und Armut für Milliarden von Menschen innert nur einer Generation. Ohne globales Wachstum der Wirtschaft wäre es niemals möglich gewesen, das Wachstum der Weltbevölkerung zu verkraften. Und ohne die früheren industriellen Revolutionen, wären wichtige soziale Errungenschaften und viele Zugänge zu Bildung und Wohlstand für viele verschlossen geblieben. Oder in den Worten von Roy Amara, dem früheren Präsidenten des Institute for the Future in Palo Alto: 'We tend to overestimate the effect of a technology in the short run und underestimate the effect in the long run'.

Wenn wir von der vierten industriellen Revolution sprechen, sprechen wir ja nicht nur vom Internet der Dinge oder von Big Data. Nicht nur von digitalen Krypto-Währungen oder der Verbindung von physischen mit virtuellen Prozessen. Und nicht nur von den je schier unbegrenzten Möglichkeiten und Sicherheitslücken der IT.

Wir sprechen auch von Menschen. Wir sprechen Lebensformen und von Berufsbildern . Vom Machbaren und vom Sinnvollen. Wir sprechen von gewaltigen Investitionen in Anlagen, Wissen und Können. Und wir sprechen von sehr unterschiedlichen Ausgangslagen in fünf Kontinenten.

Bahnbrechende Innovationen und ihre Folgen sind schwer vorauszusagen. Das gilt gerade für die vierte industrielle Revolution. Viele befürchten Lohndruck und Ungleichheit. Andere erwarten die Entstehung neuer Industrien und Beschäftigungen.

Veränderungen sind keine Option. Sie finden statt, ob wir wollen oder nicht. Die Digitalisierung prägt zunehmend die Arbeitswelt, sie braucht neue und andere Fähigkeiten. Das müssen wir sicherstellen. Die Grenze zwischen Ingenieuren und Programmierern verschwimmt. Werkbänke werden Computer-Arbeitsplätze. Und doch ist heute vieles ungewiss, gibt es weder abschliessend gefestigte Prognosen noch Antworten. Winston Churchill sagte es so: 'It is always wise to look ahead, but difficult to look farther than you can see'.

Vieles ist also möglich, eines ist sicher: Investitionen in die Bildung und Weiterbildung sind ein Imperativ. Denn Bildung heisst Befähigung. Und nur Befähigung ermöglicht Beschäftigung! Dieses Terrain muss die Politik vorbereiten. Zwischen 'verpassen' und 'überstürzen' ist oft ein schmaler Grat. Fähigkeit im Umgang mit Wandel ist oft die Fähigkeit, auf revolutionäre Entwicklungen evolutionäre Antworten zu geben. Damit komme ich zum dritten Stichwort:

3. Der Einklang von Gegensätzlichem

Meine Damen und Herren, nie war die Welt näher beisammen, aber selten war sie zerrissener. Gleichzeitig verschmelzen Kulturen und als Gegenbewegung entstehen Fundamentalismus und Hass. Offenheit und Grenzen - dieses Spannungsfeld beschäftig die Menschheit seit jeher. Die alten Römer haben den Limes gebaut.

Einen gigantischen Schutzwall quer durch Europa. Viel zu lang, um ihm bewachen zu können. Unsere Generation hat das Web gebaut. Ein gigantisches Netzwerk, das genaue Gegenteil von Grenzen. Viel zu gross, um Verständigung erzielen. Das Extreme kennt kein Augenmass.

Gegensätze sind of der Nährboden für Unversöhnlichkeit. Eine der grossen Herausforderungen ist es deshalb, Gegensätze in Einklang zu bringen. Koexistenz von Gegensätzen gelingt nicht immer und überall. Aber oft und in wichtigen Fragen. Offenheit und Grenzen sind nicht absolut. Es kann sehr wohl beides gleichzeitig geben. Gleichzeitig Freiheit und Verantwortung. Gleichzeitig eigene Weltbilder und Respekt vor anderen Kulturen. Gleichzeitig industrielle Chancen und industrielle Risiken.

Gegensätze zu Dogmen zu machen, heisst Verzicht auf das kluge austarieren von Interessen. Ohne Gegengewichte gibt es kein Gleichgewicht. Das meine ich, wenn ich von der Chancenseite spreche.

Ich komme zum Schluss.

Ich danke Ihnen, dass Sie nach Davos gereist sind. Mit der Bereitschaft, über den unmittelbaren eigenen Bereich hinaus übergeordnete Verantwortung zu übernehmen. Ich danke auch allen, die zur Schweiz enge Beziehungen pflegen, mit uns Handel treiben, hier investieren und auf die Stärken unseres Standorts bauen. Ihnen allen sage ich im Namen des Bundesrats: Sie können weiterhin auf uns zählen!

Problemlösung setzt Dialog voraus. Nur im Austausch entstehen neue Einsichten. Tragfähige Lösungen entstehen nicht im stillen Kämmerlein einsamer Denker. Sie entstehen im Gespräch. Das Diskussionsforum der Annual meeting bietet eine einzigartige Chance. Und ich bedanke mich und im Namen des Bundesrats sehr herzlich bei Professor Klaus Schwab, das er es möglich macht. Nutzen wir sie!

Es gilt das gesprochene Wort!

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