Kiew/Lwiw (Reuters) - Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besteht darauf, das von russischen Truppen besetzte Atomkraftwerk in Saborischschja zu entmilitarisieren.

Die Anlage müsse vollständig von den "Aggressoren" befreit werden, schrieb Selenskyj nach einem Treffen mit UN-Generalsekretär Antonio Guterres und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag auf Telegram. "Dieser beabsichtigte Terror seitens des Aggressors kann global katastrophale Konsequenzen haben." Die Vereinten Nationen müssten für die Sicherheit dieses strategischen Objekts sorgen. Russland drohte indes damit, die Reaktoren von Europas größtem AKW herunterzufahren.

Die Kriegsparteien machen sich gegenseitig für den anhaltenden Beschuss der Anlage verantwortlich. Seit März halten russische Truppen das Kraftwerk besetzt, es wird aber weiterhin von ukrainischen Technikern betrieben. Die Regierung in Moskau weist bislang auch international gestellte Forderungen nach einer entmilitarisierten Zone um das AKW zurück. Dies sei "inakzeptabel", erklärte das Außenministerium in Moskau. Das Verteidigungsministerium sprach davon, das AKW herunterzufahren, sollte es weiterhin beschossen werden. Ukrainische Vertreter warfen Russland vor, das AKW an das russische Netz anschließen zu wollen. Sie warnten zudem, ein Herunterfahren der Meiler würde die Gefahr einer nuklearen Katastrophe erhöhen. Das Herunterfahren eines AKW ist ein komplizierter Prozess, weil dabei die nukleare Kettenreaktion unterbrochen werden muss, ohne dass dabei eine Kernschmelze entsteht.

"MINIMAL VORANGEKOMMEN"

Kurz vor dem Treffen Selenskyj, Erdogan und Guterres in der westukrainischen Stadt Lwiw wurden erneute Angriffe auf Charkiw im Nordosten gemeldet. Nach Angaben örtlicher Rettungskräfte wurden dabei drei Zivilisten getötet, 17 Menschen wurden verletzt. Am Mittwoch waren bei Angriffen auf die zweitgrößte ukrainische Stadt demnach zwölf Menschen getötet worden. In beiden Fällen wurden offenbar Wohngebiete getroffen. Russland hat wiederholt den Vorwurf zurückgewiesen, die Streitkräfte griffen bewusst zivile Ziele an.

Größere Verschiebungen im Frontverlauf im Osten und Süden der Ukraine gab es in den vergangenen Tagen nicht. Nach Einschätzung des ukrainischen Präsidentenberaters Olexij Arestowytsch herrscht derzeit eine strategische Pattsituation. Seit vergangenen Monat seien russische Truppen nur minimal vorangekommen, und in einigen Fällen hätten die ukrainischen Streitkräfte Boden gutgemacht. Für Aufsehen sorgten zuletzt mehrere Explosionen in Militäreinrichtungen auf der seit 2014 annektierten Krim, wo Russlands Schwarzmeerflotte stationiert ist. Nach Angaben des ukrainischen Militärgeheimdienstes hat dies Russland dazu veranlasst, einige seiner Flugzeuge und Hubschrauber ins Landesinnere der Halbinsel und auf Flugplätze in Russland zu verlegen. Nach russischen Medienberichten wurde zudem der Kommandeur der Schwarzmeerflotte ausgetauscht.

Die Angaben ließen sich unabhängig zunächst nicht überprüfen. Für die Explosionen auf der Krim macht Russland Saboteure verantwortlich. Die Ukraine hat offiziell keine Verantwortung für die Vorfälle übernommen, aber angedeutet, dass sie dahinter stecken könnte. Militärisch bedeutsam wäre das, da die Ukraine in diesem Fall über Raketen mit größerer Reichweite verfügen würde und damit Ziele weit hinter den Frontlinien angreifen könnte.

(Bericht von Natalia Zinets, Andrea Shalal, Reuters-Büros; geschrieben von Christian Rüttger und Alexander Ratz; redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)