Vier Eindrücke von Bidens erster Rede zur Lage der Nation

US-Präsident Joe Biden sah sich in seiner ersten Rede zur Lage der Nation mit einer gewaltigen Herausforderung konfrontiert - nach einem Jahr im Amt, das von der COVID-19-Pandemie, einer nervösen Wirtschaft und nun Russlands Einmarsch in der Ukraine geprägt war.

Biden machte am Dienstag deutlich, dass ein Großteil der Welt sich gegen die russische Aggression einig ist. Gleichzeitig versuchte er, den Moment zu nutzen, um die Amerikaner optimistisch für die kommenden Tage zu stimmen.

Hier sind einige Eindrücke aus seiner Rede:

EINIGKEIT GEGENÜBER RUSSLAND

Der Konflikt in der Ukraine hat Biden eine seltene parteiübergreifende Unterstützung eingebracht, und die amerikanische Öffentlichkeit findet langsam Gefallen an seinem Umgang mit der Krise.

Eine neue Umfrage von Reuters/Ipsos, die am Dienstag veröffentlicht wurde, zeigt, dass Biden bei 43% Zustimmung für seine Reaktion liegt - ein Sprung von neun Punkten gegenüber der letzten Woche. Trotz dieses Anstiegs blieb Bidens allgemeine Zustimmung jedoch mit 43% unter Wasser.

In seiner Rede betonte Biden zwei Punkte, die für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Unterstützung für sein Handeln entscheidend sind: Er versprach, weiterhin eine globale Koalition zu organisieren, um den Kreml von Wladimir Putin finanziell unter Druck zu setzen, und gleichzeitig sicherzustellen, dass die US-Streitkräfte nicht in die Kämpfe verwickelt werden. Dafür erhielt er anhaltenden Beifall von den Republikanern im Plenarsaal.

"Er hat der amerikanischen Öffentlichkeit auf hohem Niveau erklärt, warum dies wichtig ist", sagte Rodell Mollineau, ein Stratege und langjähriger Berater der Demokraten im Senat.

Vor allem aber warnte Biden die Zuschauer zu Hause, dass es keine schnelle Lösung für die Krise geben werde und dass man möglicherweise einige Opfer - einschließlich höherer Energiepreise - bringen müsse.

Das waren ernüchternde Worte nach zwei Jahren des Ringens mit der Pandemie, den gesellschaftlichen Umwälzungen und der galoppierenden Inflation. "Dies ist eine echte Prüfung", sagte Biden. "Es wird Zeit brauchen."

EINE NEUE PHASE DES COVID-19

Der Präsident wollte mit seiner Ansprache signalisieren, dass die Nation in eine neue Phase der Pandemie eintritt, eine Phase, in der, wie er es ausdrückte, "COVID-19 unser Leben nicht mehr kontrollieren muss."

Bidens Argumentation wurde durch die Optik begünstigt: Die anwesenden Kongressmitglieder trugen nur wenige Masken, und Biden selbst trug keine Maske. All das deutete darauf hin, dass sich das Land in einer anderen Situation befindet als noch vor ein paar Monaten.

"Das war für die Öffentlichkeit wichtig zu sehen", sagte Mark Riddle, Geschäftsführer von Future Majority, einer gemäßigten demokratischen Forschungsfirma.

Die Republikaner haben die Schulschließungen zum Teil genutzt, um die Demokraten in Bildungsfragen anzugreifen und planen, dies vor den Zwischenwahlen im November fortzusetzen, wenn die Kontrolle über den Kongress auf dem Spiel steht und Bidens Demokraten als verwundbar gelten.

Biden versprach zwar, dass die Nation weiterhin auf neue Virusstämme achten werde, betonte aber, dass die Zeit der Geschäftsschließungen und Schulschließungen vorbei sei. "Unsere Kinder müssen in der Schule sein", sagte er und erntete Applaus von Demokraten und Republikanern.

EIN LANGFRISTIGER PLAN GEGEN DIE INFLATION

Den Rest seiner Rede verbrachte Biden damit, seine weitgehend ins Stocken geratene innenpolitische Agenda voranzutreiben - und versuchte dabei auch, die Angriffe der Republikaner in diesem Wahlzyklus abzuwehren.

Er versuchte, die Amerikaner davon zu überzeugen, dass der Weg zur Bekämpfung der steigenden Preise darin besteht, die Kosten zu senken, entweder durch die Herstellung von mehr Waren im Land oder dadurch, dass Medikamente und Kinderbetreuung erschwinglicher gemacht werden.

Ein Problem für Biden und seine Partei ist, dass keine dieser Lösungen schnell umgesetzt werden kann - schon gar nicht in der Zeit, die die Demokraten für den Wahlkampf vor November brauchen.

"Sein Plan, die Inflation zu bekämpfen, indem er die Kosten und nicht die Löhne senkt und die Produktivitätskapazität erhöht, könnte die Inflation längerfristig dämpfen, aber nicht kurzfristig", sagte David Chao, ein Analyst für globale Märkte bei Invesco in Hongkong, gegenüber Reuters.

Riddle sagte, es sei wichtig, dass Biden die heimische Produktion betone.

"Sie ist entscheidend für unseren Erfolg in der Zukunft", sagte er.

VERBRECHENSBEKÄMPFUNG

Biden nahm sich des Themas der steigenden Waffengewalt in den Städten der Nation an, indem er sich ausdrücklich gegen die Forderungen der Progressiven in seiner Partei wandte, die Polizeibehörden zu streichen.

"Die Antwort ist, die Polizei mit den Mitteln und der Ausbildung auszustatten, die sie braucht, um unsere Gemeinden zu schützen", sagte er und erntete dafür Beifall von einigen Republikanern im Plenarsaal.

Gleichzeitig forderte Biden mehr kommunale Dienste und ein Verbot von Sturmwaffen, ein Appell an die Progressiven.

Bidens Äußerungen zu Kriminalität, Inflation, Bildung und vor allem zur Pandemie sollten signalisieren, dass er versteht, was die Amerikaner in den letzten zwei Jahren durchgemacht haben, sagte Mollineau.

"Wir sind heute stärker als vor einem Jahr", sagte Biden zum Abschluss seiner Rede. "Und wir werden in einem Jahr stärker sein als heute."