FRANKFURT (dpa-AFX) - Neben Rezessionsrisiken, Lieferketten und Frachtkosten gibt es in der europäischen Logistikbranche momentan vor allem ein großes Thema: den Verkauf von DB Schenker. Nach Ansicht von Alex Irving vom US-Analysehaus Bernstein lautet die am heißesten diskutierte Frage, wer sich am möglichen Bieterrennen um die Logistiktochter der Deutschen Bahn beteiligen könnte.

Während sich der Markt vor allem auf den dänischen Transportlogistiker DSV und die deutsche DHL Group fokussiere, gebe es noch mehr mögliche Kaufinteressenten, schrieb Irving in einer am Donnerstag vorliegenden Studie. Auch die Mehrheitsaktionäre von Kühne+Nagel könnten seiner Meinung nach eine Offerte erwägen, ebenso wie Reedereien, deren Kassen nach dem Pandemie-Boom prall gefüllt seien.

Die Deutsche Bahn prüft seit Ende 2022 "ergebnisoffen" einen möglichen Verkauf von bis zu 100 Prozent der Anteile an DB Schenker. "Diese Prüfung läuft und braucht, wie üblich in solchen Prozessen, ausreichend Zeit", sagte eine Sprecherin am Donnerstag. Es gebe kein konkretes Zieldatum.

Nach Abschluss der Prüfung will die Bahn entscheiden, ob und gegebenenfalls wann sie den Verkaufsprozess einleitet. Dies sei "natürlich auch abhängig vom Umfeld am Kapitalmarkt", sagte die Sprecherin. Bis jetzt sei keine Entscheidung dazu getroffen worden.

Sollte es zu einer Auktion kommen, sieht Bernstein-Analyst Irving den dänischen Transportlogistiker DSV als aussichtsreichsten Kandidaten. Dessen Erfolgsbilanz bei Fusionen und Übernahmen sei makellos: fünf Transaktionen mit hohem Wertzuwachs in den vergangenen 20 Jahren. Er hat die DSV-Aktie weiter auf "Outperform" eingestuft mit einem Kursziel von 1440 dänischen Kronen. Derzeit wird das Papier um die 1330 Kronen gehandelt.

Neben den Dänen gilt am Markt vor allem DHL als Favorit. Irving sieht das allerdings kritisch: Schenker sei zwar strategisch interessant für DHL, aber das Umsetzungsrisiko hoch. Er merkt an, dass der Konzern seit fast zwei Jahrzehnten keine großen Übernahmen mehr durchgeführt hat. Das DHL-Geschäft sei nicht für groß angelegte Integrationen ausgelegt, schrieb er. Er empfiehlt den Bonnern deshalb, von Deal abzusehen.

Allerdings könne er auch nicht ausschließen, dass DHL der Politik als "weißer Ritter" beispringt. Die Bundesregierung hält über die KfW gut ein Fünftel an dem Konzern. Die DHL-Aktie stuft Irving weiter auf "Market-Perform" ein. Sein Kursziel von 43,50 Euro liegt praktisch auf dem aktuellen Kursniveau.

Neben den beiden Branchenriesen gibt es für Irving allerdings noch weitere aussichtsreiche Kandidaten bei einem potenziellen Verkauf von Schenker. Kühne+Nagel will er nicht vernachlässigt wissen. Ähnlich wie DHL sei das Schweizer Unternehmen zwar nicht für große Integrationen gemacht. Andererseits sei die kulturelle Ähnlichkeit zwischen Schenker und Kühne+Nagel groß.

Zudem könnte Großaktionär Klaus-Michael Kühne nach Einschätzung Irvings eine strategische Übernahme von Schenker vorantreiben, damit das Unternehmen nicht in die Hand von DSV fällt. Kühne habe dazu die Mittel, schrieb der Analyst. Allerdings dürften klassische Spediteure den Wert von Schenker höher bemessen. Die Aktie von Kühne und Nagel sieht er unverändert bei "Outperform" und einem Kursziel von 300 Schweizer Franken, während das Papier derzeit um die 275 Franken gehandelt wird.

Außerdem hält Irving Reedereien für mögliche Interessenten. Dank der himmelhohen Frachtraten während der Pandemie schwämmen die Unternehmen momentan im Geld, so der Analyst. Beim genaueren Hinsehen hält er das französische Schifffahrtsunternehmen CMA CGM angesichts einer bereits eingetüteten milliardenschweren Übernahme dann doch für eher unwahrscheinlich. Es sei fraglich, ob der Konzern zwei Mega-Deals stemmen könne.

Und gegen Moller-Maersk spricht Irving zufolge die Unternehmensstruktur, die eine Übernahme schwierig machen könnte. Die Dänen haben ihr Logistikgeschäft in die eigene Schifffahrtslinie integriert. Seefracht-Sendungen werden ausschließlich auf Maersk-Schiffen transportiert. Statt Schenker zu kaufen, böte sich bei Moller-Maersk eher organisches Wachstum an oder Übernahmen, die besser zum eigenen Geschäft passten.

Ein Verkauf von Schenker solle nur geschehen, wenn er "finanziell vorteilhaft im Vergleich zum Verbleib von DB Schenker im DB-Konzern ist", hatte die Bahn im Dezember erklärt. Die Tatsache, dass die Prüfung "ergebnisoffen" geführt wird, beinhaltet neben einer Auktion im übrigen auch andere Möglichkeiten: einen Börsengang beispielsweise oder einen Verkauf an private Investoren.

Nach Irvings Ansicht dürfte die Bundesregierung aber daran interessiert sein, das Schienennetz zu modernisieren und den Schuldenberg der Bahn abzubauen. Deshalb werde Schenker an den Höchstbietenden gehen - und das dürfte seiner Meinung nach DSV werden./lew/stw

Entsprechend der Einstufung "Market-Perform" erwarten die Analysten von Bernstein Research, dass die Kursentwicklung der Aktie in den kommenden zwölf Monaten um bis zu 15 Prozentpunkte über oder unter der Entwicklung des MSCI Pan Europe Index liegen wird.

Analysierendes Institut Bernstein.

Veröffentlichung der Original-Studie: 30.08.2023 / 20:48 / GMT Erstmalige Weitergabe der Original-Studie: 31.08.2023 / 05:00 / GMT

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