Denn binnen Stunden nach Bekanntgabe der Ausfälle Mitte September entlud sich der aufgestaute Frust der Flugkapitäne in den sozialen Netzwerken. Piloten sprachen von Willkür und kritisierten die raue Gangart der Airline. Etliche von ihnen suchten das Weite. Andere, die blieben, baldowerten mit ihren Gewerkschaften über Grenzen hinweg erstmals in der Geschichte des Billigfliegers Protestaktionen aus. Denn sie fühlten sich behandelt "wie Hausmeister", sagte ein Flugkapitän. Damit sollte Schluss sein.

Nach fünf Tagen hektischer Beratungen forderten 20 der insgesamt 87 Ryanair-Basisstationen neue Tarifverträge. In Irland, Deutschland, Italien und Portugal drohten sie im Dezember dann mit Streiks. "Die Unzufriedenheit war immer da, aber die Flugstreichungen lösten die Mobilisierung aus", erzählte ein Pilot. Sie hatten damit durchschlagenden Erfolg: Mitte Dezember war Ryanair-Chef Michael O'Leary erstmals bereit, Gewerkschaften anzuerkennen und Tarifverhandlungen zu führen. Für ihn ein großer Schritt: Legendär ist seine frühere Aussage, eher friere die Hölle zu, als dass es bei Ryanair Gewerkschaften gäbe. Der für markige Worte bekannte Airline-Chef wollte sich auch schon mal eher die Hand abhacken, als mit Arbeitnehmervertretern sprechen.

PILOTEN GESUCHT

Erste Anzeichen, dass bei Ryanair etwas aus dem Ruder lief, gab es schon im Sommer. Das berichten Gewerkschaftsvertreter und drei Piloten - denen Ryanair Kontakt zu Medien vertraglich untersagt. Bitten der Dienstplaner an die Piloten, während ihres Freistellungsmonats oder an freien Tagen zu arbeiten, häuften sich - ein Ausdruck wachsender Verzweiflung, wie ein Insider erzählt. Neue Piloten seien nicht schnell genug ausgebildet worden, räumte O'Leary selbst gegenüber Reuters ein.

Bis Anfang September sackte die Quote der pünktlichen Flüge auf rund 65 Prozent ab von 91 Prozent im April. Auch höhere Bezahlung für zusätzliche Einsätze half nicht, die mittlerweile 20.000 Flugstreichungen abzuwenden. Ryanair erklärte das mit einer Regeländerung der Luftfahrtbehörde, nach der die jährlich maximal erlaubten 900 Flugstunden im Kalenderjahr und nicht länger von April bis März einzuhalten wären. Die zuständige Behörde bestreitet das.

ABSTIMMUNG MIT DEN FÜSSEN

Nach Darstellung von Piloten lag der Engpass eher daran, dass Kollegen Ryanair scharenweise verließen. Und O'Leary gab zu, dass die Fluktuationsquote bei den Flugkapitänen auf eine hohe einstellige und die der Copiloten auf eine niedrige zweistellige Prozentzahl stieg. "Die höhere Zahl von Kündigungen bei den Copiloten ist höchst ungewöhnlich", sagte er Reuters. Während das Unternehmen die Piloten mit 10.000 Euro mehr Jahresgehalt bei Laune zu halten versuchte, vernetzten die sich erstmals über soziale Medien. Lange genug hatten sie die "Unkultur" bei Ryanair geduldet, wo Piloten nicht nur wie in der Branche üblich ihre Ausbildung, sondern auch Uniformen und das Essen im Cockpit selbst bezahlen müssen. "Die Angst vor Repressalien im Unternehmen nimmt spürbar ab", erklärte die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit, die als erste zum Warnstreik am Freitag aufrief, der aber dank Ersatzplanung von Ryanair kaum spürbar war.

O'Leary holte schließlich den operativen Flugchef Peter Bellew von Malaysia Airlines zurück, um der Misere Herr zu werden. Bei einem Treffen mit Piloten Mitte Dezember, von dem Reuters ein Mitschnitt vorliegt, beschrieb er den Alltag bei Ryanair unverblümt. "Wohin ich auch kam, überall erlebte ich, dass Leute um kleine Dinge baten, die einfach nicht erledigt wurden", sagte er. "Stattdessen bekamen sie zur Antwort: Verpiss Dich, ich will davon nichts wissen." Der Vorstand habe die Probleme wegen des starken Wachstums der Airline aus dem Auge verloren, erklärte Personalchef Eddie Wilson. "Wenn wir diesen ganzen Ärger nicht bekämpfen, verlieren wir noch mehr Leute, deshalb müssen wir das ändern", versprach Bellew. Selbst O'Leary äußerte zuletzt Respekt gegenüber den Flugzeuglenkern: "Um fair zu sein, ihr Timing war gut."

Unternehmen in diesem Artikel : Ryanair Holdings plc, Norwegian Air Shuttle