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BOCHUM (dpa-AFX) - Die Chefin von Thyssenkrupp, Martina Merz, hat die Streichung der Dividende für das vergangene Geschäftsjahr auf der Hauptversammlung des angeschlagenen Industriekonzerns verteidigt. "Thyssenkrupp ist finanziell in einer außerordentlich angespannten Lage", sagte die Managerin am Freitag vor Aktionären in Bochum. Die Ausschüttung einer Dividende sei daher nicht vertretbar. "Das Unternehmen braucht alle verfügbaren Mittel." Dies soll der Konzernchefin zufolge jedoch kein Dauerzustand werden. "Wir wollen in Zukunft wieder eine Dividende zahlen." Der Aktienkurs stand unter Druck und fiel zuletzt um rund 5 Prozent.

Aktionäre übten massiv Kritik. "Thyssenkrupp war einmal ein Leuchtturm der deutschen Wirtschaft. Heute gleicht der Konzern einer Baugrube, die unter Wasser steht und Jahr für Jahr Geld verschlingt", kritisierte Henrik Pontzen von Union Investment. Zudem monierte er den unklaren Kurs. "Keiner weiß mehr, wofür Thyssenkrupp eigentlich steht." Thyssenkrupp sei ein harter Sanierungsfall und stehe mit dem Rücken zur Wand. Bei der neuen Zukunftsstrategie dürfe es keine Tabus geben. "Da es um alles geht, müssen sie sich von allen Geschäftsbereichen, die sich nicht rechnen, entweder trennen oder sie in Joint Ventures einbringen", sagte er.

Derzeit dreht das Management um Merz nach hohen Verlusten im vergangenen Geschäftsjahr jeden Stein um. Die Überprüfung soll im Mai fertig sein. "Dann können wir Entscheidungen darüber treffen, wie es mit den Geschäften weiter geht." Im Anlagenbau erwägt Thyssenkrupp einen Verkauf oder Allianzen. Hier habe Thyssenkrupp nun den formalen Prozess gestartet und versende Informationsmaterialien an potenzielle Interessenten, erklärte Merz. Eine Entscheidung sei jedoch noch nicht gefallen.

Für das Stahlgeschäft zeigte sich Merz offen für Partnerschaften oder Allianzen. Das gelte sowohl mit Blick auf die Überkapazitäten in Europa wie auch auf die anstehende Transformation hin zu klimaneutralem Stahl. Insgesamt sieht die Managerin Thyssenkrupp künftig mehr als "Gruppe von Unternehmen". Dabei sei es nachrangig, ob Thyssenkrupp der alleinige Eigentümer der Geschäfte sei, oder Partner hereinhole. Dabei bat sie die Aktionäre um Geduld. "Schnellschüsse" soll es nicht geben.

Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) monierte, Aktionäre müssten weiter auf Klarheit warten. Es müsse endlich mal "etwas passieren".

Keine neuen Details gab es zur anstehenden Trennung vom lukrativen Aufzuggeschäft. Eine Entscheidung über einen Teil- oder Komplettverkauf oder auch einen Börsengang soll bis Ende Februar fallen, bekräftigte Merz. Vor kurzem war die Frist für die Abgabe von Angeboten von Finanzinvestoren und Wettbewerbern abgelaufen. Bekannt ist, dass der finnische Wettbewerber Kone seinen Hut in den Ring geworfen und eine Offerte in der Größenordnung von rund 17 Milliarden Euro abgegeben hat. Merz geht davon aus, dass "auf Basis einer ersten Sichtung", Investoren den Unternehmenswert "von über 15 Milliarden Euro bestätigen".

Union Investment-Vertreter Pontzen sprach sich für einen Verkauf aus. Die Aufzugssparte sei der letzte Rettungsanker für Thyssenkrupp. "Aber das Tafelsilber kann nur einmal verkauft werden. Je höher der Preis, desto eher besteht ein echter Gestaltungsspielraum für eine neue Zukunft." Tüngler von der DSW kritisierte, mit dem Verkauf sei das Problem nicht gelöst, Thyssenkrupp erkaufe sich einige Jahre Zeit.

Hendrik Schmidt von der Fondsgesellschaft DWS ist ebenfalls vorsichtig. Ob der Erlös aus dem Verkauf des einzig nennenswert stabilen Ertragsbringers tatsächlich ausreiche, die anderen strukturellen Probleme in den Griff zu bekommen, sei keineswegs sicher. Ein weiteres Risiko sieht er bei der Genehmigung der Transaktion durch die Wettbewerbsbehörden. Schmidt kritisierte zudem den strategischen Schlingerkurs der vergangenen Jahre und kündigte an, Vorstand und Aufsichtsrat nicht entlasten zu wollen. Damit reihte er sich ein in eine ganze Reihe von Fondsgesellschaften und Aktionärsvereinigungen, die Vorstand und Aufsichtsgremium ebenfalls die Entlastung verweigern wollen.

Merz selbst stellt sich auf der Hauptversammlung zur Wiederwahl in den Aufsichtsrat. Sie hat den Chefsessel lediglich für zwölf Monate übernommen, nachdem ihr Vorgänger Guido Kerkhoff im vergangenen Herbst gehen musste. Pontzen kritisierte die unklare Nachfolgeregelung. "Wie wird dann das Problem gelöst, dass ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin Ihre Strategie umsetzen muss? Warum streben Sie den Vorstandsvorsitz nicht gleich längerfristig an, damit Sie Ihre Strategie selbst umsetzen können?", fragte er. DWS-Mann Schmidt kündigte an, der Wahl Merz' nicht zuzustimmen. Über die Entlastung der Aufsichtsratmitglieder soll einzeln entschieden werden.

Merz hat aber die Rückendeckung der beiden größten Aktionäre, der Krupp-Stiftung und des Finanzinvestors Cevian. Auch die Großaktionäre wurden heftig kritisiert. Daniel Vos von der Aktionärsvereinigung SdK forderte etwa den Finanzinvestor Cevian auf, nicht nur den Aufsichtsrat zu verlassen, sondern auch, sich von seinen Anteilen zu trennen. Cevian wird von vielen Anteilseignern mitverantwortlich für die Misere von Thyssenkrupp und das damit einhergehende Führungs- und Strategiechaos gemacht. Aber auch die Krupp-Stiftung kam schlecht weg. Tüngler sieht bei der Stiftung keine "Handschrift", keine "Vision" und warf ihr "Schwäche" vor. Mehrere Aktionäre forderten die Stiftung auf, künftig auf das Entsenderecht in den Aufsichtsrecht zu verzichten./nas/eas/jha/