FRANKFURT (dpa-AFX) - In der Corona-Krise haben viele Deutsche die Börse für sich entdeckt. 12,35 Millionen Aktionäre sind der höchste Stand seit fast 20 Jahren. Doch wie dauerhaft ist der Boom des Jahres 2020? Springen die als eher börsenscheu geltenden Deutschen beim nächsten Crash gleich wieder ab? Hoffnung macht dem Deutschen Aktieninstitut (DAI), dass vor allem jüngere Menschen Aktien und Fonds zunehmend für die Altersvorsorge nutzen.

Im Vergleich zum Vorjahr kletterte die Zahl derer in Deutschland, die Anteilsscheine von Unternehmen und/oder Aktienfonds besitzen um knapp 2,7 Millionen. 500 000 davon gehen allerdings auf eine Änderung der Erhebungsmethode zurück: Erstmals sind in der seit 1997 erhobenen Statistik ausländische Aktionäre mit Wohnsitz in Deutschland erfasst. Doch auch auf vergleichbarer Basis ist die Gesamtzahl die höchste seit dem Rekordjahr 2001 mit damals fast 12,9 Millionen Aktionären.

"Der letztjährige Boom bei den Aktionären ist ein gutes Zeichen für die Aktienkultur in Deutschland", befand die Chefin des Aktieninstituts, Christine Bortenlänger, am Donnerstag in Frankfurt. "Viele der Menschen, die 2020 in Aktien investiert haben, haben sich für das Sparen in Aktienfonds und Aktien-ETFs entschieden. Sie wollen langfristig dabeibleiben."

Die Bundesbank stellte kürzlich fest, das Engagement der privaten Haushalte auf dem Kapitalmarkt habe zuletzt "einen rasanten Aufschwung" erlebt. Auch der Fondsverband BVI macht nach Jahren des Zinstiefs ein Umdenken aus. Anleger investierten nach BVI-Angaben im vergangenen Jahr netto 20,9 Milliarden Euro allein in Aktienfonds und damit mehr als viermal so viel wie ein Jahr zuvor (4,5 Mrd Euro).

"Offenbar haben viele Deutsche die Corona-Krise genutzt, um erstmals, nach längerer Zeit wieder oder stärker in die Wertpapieranlage einzusteigen", erklärte Union-Investment-Manager Alexander Schindler Anfang der Woche. "Da Sparbücher keine Erträge mehr abwerfen, beobachten wir ein zunehmendes Interesse der Sparer an der Fondsanlage. Die niedrigen Zinsen schaffen also das, woran jahrelange Finanzbildung oder die Förderung der Aktienkultur gescheitert sind."

Die Pandemie tat ein Übriges, so die Analyse des Aktieninstituts: "Viele Sparerinnen und Sparer hatten 2020 einfach mehr Zeit und mehr Geld." Weil Urlaube platzten, Einkaufsbummel und Restaurantbesuche zeitweise nicht oder nur eingeschränkt möglich waren, sparten die Menschen viel Geld. Von 100 Euro wurden nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im Schnitt gut 16 Euro auf die hohe Kante gelegt. Die gewonnene Zeit nutzten etliche Anleger nach Einschätzung des Aktieninstituts, um sich mit ihren Finanzen zu beschäftigen: "Gepaart mit den sinkenden Börsenkursen im Frühjahr nutzten das offenbar Viele als Chance für den Einstieg in den Aktienmarkt."

Besonders die Gruppe der unter 30-Jährigen war demnach an der Börse sehr aktiv. Fast 600 000 junge Erwachsene wagten sich aufs Parkett - eine Steigerung von fast 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und damit der mit Abstand stärkste Anstieg aller in der Studie des Aktieninstituts untersuchten Altersgruppen. Begünstigt wird dieser Trend dadurch, dass bei vielen Anbietern das Investment in Aktien nur wenige Klicks auf der Smartphone-App entfernt ist.

Etwa jeder Sechste in Deutschland ab 14 Jahre hat nach den jüngsten Zahlen Aktien, Aktienfonds oder börsengehandelte Indexfonds (ETFs) im Depot. Für die meisten Sparer hierzulande jedoch ist das nach wie vor graue Theorie. Sie haben entweder nie in Aktien oder Fonds investiert oder wandten sich nach dem Platzen der dot.com-Blase mit Grausen von der Börse ab.

Die Angst, Geld zu verlieren, weil man zum falschen Zeitpunkt einsteigt oder aufs falsche Pferd setzt, ist Umfragen zufolge weit verbreitet - auch wenn das Aktieninstitut im "Dax-Renditedreieck" regelmäßig vorrechnet, dass sich langfristiges Sparen in Aktien in den vergangenen 50 Jahren in der Regel ausgezahlt hat.

2001 lag die Aktionärsquote in Deutschland bei 20 Prozent - dank den als "Volksaktie" angepriesenen Telekom-Papieren und dem Börsenhype rund um die New Economy. Mit inzwischen wieder 17,5 Prozent ist der Anteil der Aktionäre in Europas größter Volkswirtschaft im Vergleich zu anderen Industrieländern nach wie vor eher gering. In den USA etwa fördert der Staat die Altersvorsorge über den Kapitalmarkt stärker.

In Deutschland nutzten viele Anleger den Kurssturz im März - der Leitindex Dax stürzte von knapp 13 800 Punkten auf 8255 Zähler ab - zum Einstieg an der Börse oder zum Aufstocken ihrer Aktienbestände. Aktuell boomt es wieder an den Aktienmärkten, Analysten trauen dem Dax zum Ende des laufenden Jahres einen Rekord bei 15 000 Punkten zu.

Doch was passiert, wenn die Kurse wieder fallen? Endet dann die "neue Liebesgeschichte" der Deutschen mit der Börse, von der das Aktieninstitut in seiner jüngsten Studie berichtet? Das Thema Geld sei schließlich "emotional besetzt", räumen die Frankfurter Experten ein. "Deshalb wirkt der Ärger über Verluste in der Regel deutlich stärker nach als die Freude über Gewinne." Vorsorglich mahnt das Aktieninstitut: "Börsenneulinge dürfen sich von kurzen Kursrücksetzern (...) nicht aus der Ruhe bringen lassen." Wer langfristig, breit gestreut und regelmäßig in Aktien oder Aktienfonds spare, könne "diese vorübergehenden Phasen gelassen aussitzen"./ben/DP/stk