Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Der Deutsche Bundestag hat am Mittwoch einer bundeseinheitlich geltenden Notbremse und nächtlichen Ausgangssperren zugestimmt. Mit den Maßnahmen sollen die hohen Corona-Infektionszahlen in der aktuellen dritten Welle reduziert werden. Zuvor waren einige zwischen Bund und Ländern vereinbarte Corona-Maßnahmen auf Landesebene nicht vollständig umgesetzt worden. Daher entschied die Bundesregierung sich für ein bundesweit geltendes Infektionsschutzgesetz. Kritik entbrannte besonders an den Ausgangssperren, die viele Oppositionspolitiker als unverhältnismäßig ansehen.

"Testgestütztes Öffnen und vor allem das Impfen geben uns die notwendige Perspektive, nach der zu Recht viele fragen. Aber erst braucht es als Brücke ein Brechen dieser Welle", erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Deutschen Bundestag.

Vizekanzler Olaf Scholz betonte, dass die Notbremse kein Dauerzustand sein werde. "Weil die Lage unverändert ernst ist, muss auch etwas getan werden über das hinaus, was wir bisher unternommen haben", so der SPD-Politiker in einer im Bundestag hitzig geführten Debatte.

Dem Gesetz stimmten in einer namentlichen Abstimmung 342 Abgeordnete zu, 250 waren dagegen und 64 enthielten sich. Insgesamt wurden 656 Stimmen abgegeben.


   Ausgangssperren, Ladenschließung und Distanzunterricht 

Das auch als Bevölkerungsschutzgesetz geplante Regelwerk sieht bis längstens Ende Juni vor, dass ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 Fällen pro 100.000 Einwohner alle Geschäfte geschlossen bleiben, sofern es sich nicht um Lebensmittelhandel, Drogerien, Apotheken und Tankstellen handelt. Ausnahmen bestehen allerdings bei Terminbuchungen. Bei einer Inzidenz von 100 bis 150 ist dann Einkaufen weiter möglich.

Weiterhin soll in allen Landkreisen und Städten eine nächtliche Ausgangssperre von 22 Uhr bis 5 Uhr eingeführt werden, auch Autofahrten sind dann untersagt. Bis 24 Uhr ist aber körperliche Bewegung alleine noch erlaubt. Ursprünglich waren Ausgangssperren ab 21 Uhr geplant, wurden aber nach Kritik nach hinten verlegt.

Zudem darf ein privater Haushalt ab einer Inzidenz von 100 nur einen Angehörigen eines weiteren Haushaltes einschließlich dazugehöriger Kinder unter 14 Jahren treffen. Wechselunterricht ist ab einer Inzidenz von 100 vorgesehen. Präsenzunterricht wird untersagt, sollte die Corona-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 165 liegen.

Arbeitgeber müssen außerdem Arbeitnehmern die Möglichkeit zum Homeoffice anbieten, wenn dem keine zwingenden betrieblichen Gründe entgegenstehen. Sollte dies nicht möglich sein, müssen Arbeitgeber eine Testmöglichkeit anbieten.


   Kritik an Ausgangssperren als unverhältnismäßig 

Besonders wegen der Ausgangssperren hat es viel Kritik gegeben. Verfassungsrechtler haben rechtlich Bedenken angemeldet. Vor dem Bundestag gab es Demonstrationen gegen die geplanten Maßnahmen.

Bei Oppositionsparteien AfD sowie Linke und FDP stießen Teile der Pläne auf Ablehnung. Sie hatten angekündigt, gegen das Gesetz zu stimmen. Die Ausgangsbeschränkungen seien unverhältnismäßig, da die regionale Situation nicht ausreichend berücksichtigt würde. Die FDP drohte erneut mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Die AfD warf der Regierung einen Angriff auf die Freiheitsrechte vor. Linke vermissten mehr verpflichtende Regelungen für Arbeitgeber und halten einen Präsenzunterricht bis zu einer Inzidenz von 165 für falsch. Die Grünen hingegen vermissten im Gesetz eine Testpflicht für Arbeitnehmer und halten das Paket insgesamt für halbherzig.


   Interessenverbände sehen Defizite bei der Notbremse 

Aerosolforscher kritisierten, dass die Ausgangssperren unverhältnismäßig seien, da sie nur eine minimale Anzahl an Infektionen verhinderten. Intensivmediziner warnten hingegen, dass die geplante Notbremse insgesamt nicht ausreichend sei.

Kinderärzte monierten, dass bei den geplanten Schulschließungen der Schaden für die Kinder nicht ausreichend berücksichtigt würde. Der Deutsche Lehrerverband vermisst einen ausreichenden Impfschutz für alle Lehrer und hätte Distanzunterricht bereits ab eine Inzidenz von 100 für angemessen gehalten.

Der Einzelhandel hatte im Vorfeld auf eine Abschwächung der geplanten Verschärfungen für den Einzelhandel gedrängt, da die Branche nachweislich keine erhöhte Infektionsgefahr darstelle. Ursprünglich war vorgesehen, dass ab 100 keine Terminbuchungen mehr möglich sein sollten. Dies soll nun aber bis einer Inzidenz bis 150 möglich sein.

Am Mittwoch lag die bundesweite Siegen-Tage-Inzidenz bei 160,1 auf 100.000 Einwohner.

Der Bundesrat wird sich am Donnerstag mit dem Gesetz befassen. Es ist nicht zustimmungspflichtig. Die Länderkammer kann ihre ablehnende Haltung in einem Einspruch zum Ausdruck bringen. Dieser Einspruch kann dann durch den Bundestag überstimmt werden.

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April 21, 2021 09:49 ET (13:49 GMT)