Von David Wainer

NEW YORK (Dow Jones)--Anleger haben die juristischen Schritte der Pharmaindustrie gegen die Preispolitik von Präsident Joe Biden bisher nicht allzu ernst genommen. Als Merck & Co im Sommer als erstes Unternehmen die US-Regierung verklagte, gehörten ihre Aktien zu den schwächsten des Tages.

Inzwischen hat die Branche eine ganze Reihe von Klagen vor Bundesgerichten im ganzen Land losgetreten. Anleger sollten darauf genauer schauen, denn Überraschungen sind im Prozessverlauf möglich. Novartis aus der Schweiz ist das jüngste Beispiel eines Konzerns, der sich dem Kampf anschließt

Die acht eingereichten Klagen sind zwar unterschiedlich begründet, aber die meisten berufen sich auf verfassungsgemäße Rechte wie die Redefreiheit des Ersten Verfassungszusatzes, die Entschädigungsklausel bei Enteignung des Fünften Verfassungszusatzes und die Übermaßklausel des Achten Verfassungszusatzes. Auf dieser Basis, so die Argumentation, sei das Gesetz, das Medicare die Aushandlung von Arzneimittelpreisen erlaubt, verfassungswidrig.

Statt den Centers for Medicare and Medicaid Services - also den öffentlichen Krankenversicherungen für Senioren und Geringverdienern - die Befugnis zu geben, die Preise zu verhandeln, so die Pharmafirmen, sorge der Inflation Reduction Act de facto für Preiskontrollen, die die Arzneimittelfirmen zwingen, ihre Medikamente zu unfair niedrigen, von Medicare festgelegten Preisen zu verkaufen, oder andernfalls überhöhte Geldstrafen in Kauf zu nehmen.


 Ein Fall für den Supreme Court? 

Es könnte Jahre dauern, sagen Experten, aber der juristische Kreuzzug scheine darauf ausgelegt zu sein, am Ende vor dem Obersten Gerichtshof zu landen.

Wirkung könnten die Klagen allerdings schon früher zeigen. Die Pharmaunternehmen und ihre Verbündeten versuchen nämlich auch, die Umsetzung des Gesetzes zu verhindern. Jede Verzögerung könnte am Ende Hunderte Millionen Dollar wert sein für Anbieter wie Johnson & Johnson, Bristol Myers und Amgen, deren Produkte für Preisverhandlungen ausgewählt wurden. Mit dem Blutverdünner Eliquis von Bristol Myers (gemeinsam mit Pfizer), der zu den ersten zehn für Preisverhandlungen gelisteten Arzneimitteln gehört, wurden 2022 insgesamt 11,8 Milliarden Dollar umgesetzt, das sind 26 Prozent der Gesamteinnahmen von Bristol Myers.

Da die meisten Fälle bisher von Demokraten ernannten Richtern zugewiesen wurden, richten sich jetzt alle Augen auf die Klage der US-Handelskammer in Ohio, die bei Michael Newman landete. Der Richter ist Mitglied der konservativen Federalist Society und ist 2020 von Donald Trump ernannt worden. Die Handelskammer fordert von Newman, dass er die Einführung des Programms stoppt. Eine Entscheidung dazu könnte noch in diesem Herbst fallen.

Die Hürden für die benötigte einstweilige Verfügung sind allerdings hoch. Der Kläger muss dazu nachweisen, dass ein nicht wieder gutzumachender Schaden entsteht, wenn der Prozess fortgesetzt wird, erläuterte Carmel Shachar, Assistenzprofessorin für klinisches Recht in Harvard. "Oft geht es bei einer einstweiligen Verfügung darum festzustellen: Wenn wir den Status quo fortbestehen lassen, dann gibt es kein Zurück mehr", sagte Shachar. Verhandlungen zu starten, führe aber nicht zwangsläufig zu einem irreparablen Schaden, bemerkte sie. Später jedoch, besonders wenn Medicare im nächsten Jahr die Preise für die zehn ausgewählten Medikamente veröffentlicht, könnte es wahrscheinlicher werden, dass ein Richter den Prozess stoppt, schätzt Analyst Chris Meekins von Raymond James in Washington.


 Breite Streuung der Klagen könnte den Erfolg bringen 

Grundsätzlich halten Rechtsexperten jede Klage für sich genommen schwer durchzusetzen. Der Ansatz der Pharmabranche sei es jedoch, gemeinsam breit gestreut in der Hoffnung zu feuern, dass ein Wirkungstreffer gelingt. Die einzigen beiden Fälle, die bisher republikanisch ernannten Richtern zugewiesen wurden, sind zwar die Klagen in Ohio und eine von AstraZeneca angestrengtes Verfahren in Delaware. Doch risikoreich könnte aus Sicht von Bidens die Klage der Lobbygruppe Pharmaceutical Research and Manufacturers of America sein, die im Western District of Texas eingereicht wurde. Hier ist zwar zunächst ein von den Demokraten ernannter Richter am Zug, eine Berufung würde jedoch im konservativ geprägten fünften Gerichtsbezirk landen. Die Chancen für einen Sieg der Industrie vor diesem Berufungsgericht wären hoch, sagte Analyst Meekins.

Harvard-Wissenschaftlerin Shachar ist zwar der Meinung, dass das Gesetz gute Chancen hat durchzukommen, aber sie merkt auch an, dass in einer Zeit, in der Gerichte dem Verwaltungshandeln gegenüber eine wachsende Skepsis an den Tag legen, alles möglich sei. Das Argument der Pharmaindustrie, die Regierung eigne sich auf unfaire Weise ihr durch Patente geschütztes Eigentum an, werde von einigen Gerichten ernsthaft geprüft werden, meint sie.

Bidens Bemühungen um die Festsetzung von Medikamentenpreisen haben die Pharmaindustrie unter Druck gesetzt, so dass der Nyse Arca Pharmaceutical Index in diesem Jahr schon um mehr als 10 Prozent hinter dem S&P 500 zurückgeblieben ist. Etwaige Überraschungen im juristischen Bereich könnten der Branche Auftrieb geben.

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

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September 11, 2023 03:41 ET (07:41 GMT)