Berlin/Straßburg (Reuters) - Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat die EU aufgefordert, zwischen der Ukraine und Russland zu vermitteln.

In einem am Dienstag veröffentlichten Brief an EU-Ratspräsident Charles Michel verweist Orban auf seine umstrittenen Gespräche mit dem amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump sowie in der Ukraine, Russland und China. Trump sei bereit, im Falle seiner Wahl im November "sofort" als Friedensvermittler im Russland-Ukraine-Krieg aufzutreten, schrieb er in dem Brief. Im "wahrscheinlichen Fall eines Sieges" von Trump werde eine große finanzielle Belastung auf die EU bei der Unterstützung der Ukraine zukommen, warnte Orban, der derzeit die halbjährliche EU-Ratspräsidentschaft innehat. Hintergrund ist die Annahme, dass Trump die US-Unterstützung für Kiew stoppen würde. Der Ungar gehört innerhalb der EU zu den größten Kritikern der Waffenlieferungen an Kiew.

Orbans Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin, Trump und Chinas Präsident Xi Jinping in den vergangenen Tagen waren umstritten. Auch Kanzler Olaf Scholz hatte betont, dass Orban die Reisen nur als ungarischer Regierungschef unternehme und nicht für die EU spreche. Der nationalkonservative Politiker forderte die EU jetzt aber auf, mit China über die Modalitäten einer Friedenskonferenz zu sprechen. Zudem sollten die diplomatischen Kontakte mit Russland wieder forciert werden. Mit den Ländern der Südhalbkugel, dessen Unterstützung die EU in der Ukraine-Politik verloren habe, solle man reden.

Orban warf der EU vor, die "Pro-Kriegs-Politik" der derzeitigen US-Regierung nur zu kopieren. "In der gegenwärtigen Situation können wir (aber) ein Fenster der Gelegenheit mit einer starken moralischen und rationalen Basis finden, um ein neues Kapitel in unserer Politik aufzuschlagen", forderte er.

"Ich kann (...) mit Sicherheit sagen, dass er (Trump) kurz nach seinem Wahlsieg nicht bis zu seiner Amtseinführung warten wird. Er wird sofort bereit sein, als Friedensvermittler zu agieren. Er hat detaillierte und fundierte Pläne dafür", schrieb Orban in dem Brief.

Der nationalkonservative Politiker gilt im Kreis der 27 EU-Regierungen als weitgehend isoliert. Ihm wird Nähe nicht nur zu Trump, sondern auch Russlands Präsident Putin nachgesagt. Die EU-Kommission hat immer wieder Rechtsstaatsverstöße in Ungarn etwa in der Justiz- und Medienpolitik kritisiert. Nur der slowakische Ministerpräsident Robert Fico teilt offen seine Skepsis zu Waffenlieferungen an die Ukraine.

Um den Unmut über Ungarns Diplomatie zum Krieg in der Ukraine zu unterstreichen, die die seit langem vertretenen EU-Positionen untergräbt, schloss die Europäische Kommission am Montag EU-Kommissare von der Teilnahme an Sitzungen aus, die unter der ungarischen Ratspräsidentschaft stattfinden. Einige EU-Regierungen planen außerdem, zu informellen EU-Ministergesprächen in Ungarn nur Spitzenbeamte und keine Minister zu entsenden. 63 Abgeordnete des Europäischen Parlaments haben die EU zudem aufgefordert, Ungarn das Stimmrecht in der Union zu entziehen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer möchte, dass Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft entzogen wird.

In Straßburg wählte das neue Europäische Parlament (EP) in seiner konstituierenden Sitzung Roberta Metsola erneut als Präsidentin. Eine große Mehrheit der Abgeordneten bestätigte die aus Malta stammende Politikerin der konservativen EVP-Fraktion am Dienstag für weitere zweieinhalb Jahre im Amt. Die 45-Jährige betonte in ihrer Rede, dass das Parlament die Ukraine weiterhin energisch unterstützen und die Rechtsstaatlichkeit wahren werde.

(Bericht von Andreas Rinke, Alexander Ratz, Kate Abnett; redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)