Zürich (awp) - Der weltgrösste Nahrungsmittel-Hersteller Nestlé veröffentlicht am Donnerstag, 30. Juli das Geschäftsergebnis für das erste Semester 2020. Insgesamt zwölf Analysten haben zum AWP-Konsens beigetragen.

H1 2020E
(in Mio Fr.)            AWP-Konsens     H1 2019A  

Umsatz                    41'644         45'456  
EBIT adj.                  7'015          7'773  
- Marge adj. (in %)         17,0           17,1  
Reingewinn                 5'499          4'972  

Organ. Wachstum (%)          2,7            3,6 

FOKUS: Nestlé zählt laut Analysten zu denjenigen Nahrungsmittelherstellern, denen die Covid-19-Pandemie am wenigsten anhaben kann. Ganz immun sei der Nahrungsmittelhersteller aber nicht. Die Einschätzungen zum Geschäftsgang gehen dabei auseinander. Im ersten Quartal hatte Nestlé noch mit einem starken organischen Wachstum von 4,3 Prozent überrascht. Dabei halfen Hamsterkäufe und Schaltjahreseffekte.

Nun könnten negativ Effekte des Lockdowns stärker ins Gewicht gefallen sein. So erwirtschaftet Nestlé rund 10 Prozent der Umsätze im Foodservice-Geschäft, also in der Belieferung der Gastronomie. Die meisten Analysten rechnen damit, dass der Konzern im zweiten Quartal organisch deutlich langsamer gewachsen ist als noch im ersten - wenn überhaupt ein Wachstum drinlag.

Für das gesamte Halbjahr gehen die Analysten gemäss AWP-Konsens von einem organischen Plus von 2,7 Prozent aus (1,8% - 3,3%), bei dem von Nestlé selbst zusammengestellten Konsens hingegen von 2,3 Prozent (-1,5% - 3,3%). Allerdings werden diese Prognosen jeweils etwas früher als der AWP-Konsens zusammengetragen.

Grund zu Optimismus boten zuletzt die Zahlen des Rivalen Unilever: Dessen Erlöse gaben im zweiten Quartal organisch mit 0,3 Prozent deutlich weniger nach als befürchtet. Bei Nestlé dürfte zudem eine starke Nachfrage nach Milch- und Fertigprodukten, aber auch nach Kaffee, Heimtiernahrung und Gesundheitsprodukten gestützt haben.

Dabei hilft es, dass Nestlé mit solchen Kategorien hohe Margen erwirtschaftet. Denn zugleich erwarten Branchenexperten, dass höhere Kosten für die Sicherstellung der Lieferketten und Schutzmassnahmen im Zuge der Pandemie angefallen sind. Die EBIT-Marge könnte daher etwas zurückgegangen sein.

Im Fokus stehen wird weiter, ob Nestlé nun die Guidance noch anpasst. Im April hat der Konzern die Jahresprognose noch bestätigt, da es zu früh für eine Einschätzung der Auswirkungen der Coronakrise sei. Die Konkurrenten Unilever und Danone haben beide bereits ihre Ziele gekappt. Analysten rechnen grösstenteils mit einem organischen Wachstum im Gesamtjahr von bis zu 3 Prozent - doch auch hier gibt es eine grosse Bandbreite aufgrund der Unsicherheit.

ZIELE: Anlässlich der Zahlenvorlage für das erste Quartal hat Nestlé Ende April seine Gesamtjahresziele bestätigt, da es noch zu früh sei, die vollen finanziellen Auswirkungen der Corona-Krise zu beurteilen. Entsprechend erwartet der Konzern eine weitere Verbesserung des organischen Umsatzwachstums (2019: 3,5%) und der zugrunde liegenden operativen Ergebnismarge (17,6%).

Das Management hatte mit dem im Februar bekannt gegebenen Wachstumsziel die Messlatte gegenüber früheren Ankündigungen bereits etwas heruntergeschraubt: Ursprünglich sollte bis 2020 nämlich ein mittleres einstelliges Wachstum (etwa 4 bis 6%) erreicht werden. Dieses Ziel wurde nach hinten geschoben.

PRO MEMORIA:

M&A: Nestlé hat seinen Portfolioumbau zuletzt weiter vorangetrieben. Mitte Juni stellte der Konzern das Wassergeschäft in Nordamerika ins Schaufenster. Er will sich auf bekannte Premium-Marken wie Perrier oder San Pellegrino konzentrieren. Die Prüfung des Verkaufs soll Anfang 2021 abgeschlossen werden. Anfang Juli konnte Nestlé in Kanada schon mal den Verkauf des Flaschenwassergeschäfts der Marke "Pure Life" an Ice River Springs vermelden. Laut einem Bericht des Senders CNN erwägt Nestlé auch die Trennung von einigen lokalen Wassermarken in China.

Das Wassergeschäft gehört eigentlich zu den Produktkategorien, die Nestlé als wachstumsstark definiert hat. Doch diesen Anspruch hat die Sparte schon länger nicht einlösen können. Bereits im Herbst 2019 kündigte Nestlé daher eine Restrukturierung an.

Ende April gab Nestlé zudem bekannt, strategische Optionen für Yinlu-Geschäft mit Erdnussmilch und Reisporridge-Konserven in China zu prüfen. Dieses machte zuletzt einen Umsatz von umgerechnet 700 Millionen Franken und ist seit längerem eine Baustelle.

Neben Verkäufen will sich Nestlé aber vermehrt auch wieder Zukäufen zuwenden, wie CEO Mark Schneider an der Bilanzmedienkonferenz angekündigt hatte. Einen Zukauf vermeldete das Unternehmen etwa Mitte Juni. So hat Nestlé eine Mehrheitsbeteiligung an der US-Firma Vital Proteins mit Sitz in Chicago erworben.

Bei Vital Proteins handelt es sich den Angaben zufolge um die führende US-Kollagenemarke, die eine Lifestyle- und Wellness-Plattform betreibt sowie Nahrungsergänzungsmittel, Getränke und Lebensmittel-Produkte verkauft.

TRENDS: Nestlé musste seinen fleischlosen Burger von "Incredible Burger" in "Sensational Burger" umbenennen. Der Lebensmittelkonzern hat vor dem Den Haager Bezirksgericht einen Rechtsstreit um die Namensrechte mit dem Unternehmen "Impossible Foods" verloren. Anfang Juli zog Nestlé nun die Namensänderung durch. Allerdings will Nestlé den Fall weiterziehen.

Nestlé-Chef Mark Schneider rechnet laut einem Mitte Juni veröffentlichten Interview in den CH-Media-Zeitungen damit, dass Corona den Trend zu gesunder Ernährung noch beschleunigen dürfte. Auch das Konsumverhalten hat sich in der Krise verändert. So habe Nestlé im Onlinehandel eine Zunahme von fast 30 Prozent erlebt. Der Onlinehandel mache im ganzen Konzern etwa 10 Prozent aus.

Ein grosses Thema bleibt auch die Reduktion von Plastik: Mitte Mai gab Nestlé bekannt, versuchsweise in 15 seiner Läden Systeme für den verpackungsfreien Verkauf von löslichem Kaffee und Tierfutter einzuführen.

AKTIENRÜCKKAUF: Nestlé hat im Januar eines neues Aktienrückkauf-Programm über 20 Milliarden Franken gestartet, das über den Zeitraum von 2020 bis 2022 laufen soll. Per 22. Juli waren Aktien für knapp 4,5 Milliarden Franken zurückgekauft, wobei im Durchschnitt rund 102 Franken bezahlt wurden. Während das tägliche Rückkaufvolumen während des Corona-Crashs deutlich erhöht wurde, ging es Nestlé zuletzt wieder etwas ruhiger an.

AKTIENKURS: Die Nestlé-Aktien haben zuletzt ein neues Jahreshoch bei 112,10 Franken markiert. Sie nähern sich damit langsam, aber sicher wieder dem Allzeithoch bei 113,20 Franken vom letzten September. Die Titel notieren auf dem aktuellen Niveau gut 5 Prozent über dem Stand von Ende 2019 und haben sich damit als defensiver Titel deutlich besser als der Gesamtmarkt geschlagen. Der Leitindex SMI liegt noch rund 3 Prozent im Minus.

jl/tt