Von Benjamin Katz und Trefor Moss

NEW YORK (Dow Jones)--Der Absturz einer 737-800 der China Eastern Airlines kommt für Boeing in China zu einem prekären Zeitpunkt. Gerade erst arbeitete der US-Flugzeughersteller nämlich daran, sein Ansehen auf dem wichtigen Luftfahrtmarkt wiederherzustellen. Jahrelang litt er unter den Folgen der MAX-Krise und dem Handelskrieg zwischen China sowie den USA. Zum Wochenbeginn stürzte eine Boeing-Maschine mit 132 Menschen an Bord ab, und die Rettungskräfte vor Ort haben noch keine Überlebenden unter den Trümmern gefunden. China Eastern Airlines verhängte daraufhin ein Flugverbot für seine gesamte 737-800-Flotte, wovon nach Angaben des Luftfahrtberatungsunternehmens Cirium rund 224 Flugzeuge der Gruppe betroffen sind.

Für Boeing kommt der Absturz zu einem Zeitpunkt, an dem das Unternehmen kurz vor der Wiederinbetriebnahme der 737 MAX in China steht - immerhin ein anderes Modell als das am Montag abgestürzte Flugzeug. Die Wartungen und Reparaturen an dem Flugzeug waren von der chinesischen Aufsichtsbehörde genehmigt worden. Boeing hatte im Januar erklärt, man sei bereit, die Auslieferung des Flugzeugs bereits im ersten Quartal dieses Jahres wieder aufzunehmen.


Boeing muss angekratzten Ruf wieder aufpolieren 

China ist ein zunehmend wichtiger Markt für Boeing, da das Land seine Luftfahrtindustrie in den vergangenen drei Jahrzehnten schnell ausgebaut hat. Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen 1.736 Jets nach China geliefert, 143 weitere sind in Auftrag gegeben. Boeing meint zugleich, dass noch viel mehr kommen wird. Das Unternehmen prognostiziert, dass China in den nächsten zwei Jahrzehnten 8.700 neue Düsenflugzeuge kauft - quer durch die Bank von allen Anbietern, vor allem aber von Boeing und Airbus - und damit fast ein Fünftel der weltweiten Nachfrage. Der Schlüssel zur Ausschöpfung dieses Potenzials liegt jedoch wahrscheinlich in der Fähigkeit von Boeing, das Vertrauen der Chinesen in seine Flugzeuge wieder aufzupolieren.

Boeing hat nach Angaben eines Insiders ein für diese Woche in Miami geplantes Treffen von Führungskräften als Reaktion auf den Absturz abgesagt. Derweil fungieren Konzernvertreter als technische Berater bei der von der chinesischen Zivilluftfahrtbehörde angestrengten Untersuchung. In der Regel kann es Monate oder länger dauern, bis die Ermittler die Ursache eines Flugzeugabsturzes feststellen. Die Gründe für den Absturz werden laut Analysten wahrscheinlich eine große Rolle bei der Festlegung der Dauer des Flugverbots für die 737-800 von China Eastern und einer eventuellen Verzögerung bei der Wiederaufnahme des Flugbetriebs der MAX spielen.


Chinesen reagieren prompt auf den Flugzeugabsturz 

Boeing-Chef David Calhoun erläuterte im Vorjahr, dass sein Unternehmen jetzt, da die Corona-Schrecken abebbten, neue Aufträge von Chinas Fluggesellschaften benötige, um konkurrenzfähig zu sein. Der US-Flugzeughersteller hat seit über vier Jahren keinen neuen Auftrag für ein Flugzeug aus China erhalten. In einer aktuellen Mitteilung an die Mitarbeiter verdeutlichte Calhoun, das Unternehmen stehe nach dem Absturz in engem Kontakt mit China Eastern und den Aufsichtsbehörden. "Vertrauen Sie darauf, dass wir alles tun werden, um unseren Kunden und die Unfalluntersuchung in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen."

Die schnelle Reaktion von China Eastern auf die Katastrophe erinnert an die Reaktion Chinas nach der Tragödie der Ethiopian Airlines im März 2019, die zu einem weltweiten Flugverbot für die 737 MAX führte, ein Nachfolgemodell der 737-800. So war die chinesische Luftfahrtbehörde die erste, die ein Flugverbot für die MAX verhängte. Westliche Sicherheitsbehörden äußerten zunächst Bedenken, dass die Behörde voreilig und ohne ausreichende Beweise gehandelt habe, bevor sie schließlich ihrem Beispiel folgten.

Das Geschäft von Boeing in China wurde in den vergangenen Jahren bereits durch die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und China, das Flugverbot für die 737 MAX und die Coronavirus-Pandemie beeinträchtigt. Letztere schränkte die Nachfrage nach Reisen ein und dämpfte damit auch die nach neuen Flugzeugen in China. "Wir erwarten nun weitere Verzögerungen bei der Wiedereinführung der 737 MAX in China, während dieser Unfall untersucht wird, zumindest bis eine wahrscheinliche Ursache identifiziert ist", argumentiert Robert Spingarn, Aktienanalyst bei Melius Research. Er fügt hinzu, dass die Investoren darauf achteten, ob die Ursache auf einen Flugzeugfehler, einen Pilotenfehler, ein Wartungsproblem oder ein externes Ereignis - wie das Wetter - zurückzuführen ist.


Chinesischer Flugzeugbauer drängt auf den Markt 

Ein Bruch mit Boeing würde auch für China schwerwiegende Folgen haben, da das Land auf die Flugzeuge des Unternehmens angewiesen ist. Die Bedeutung von Boeing wurde durch die Reaktion Pekings auf die Zölle von Präsident Donald Trump deutlich. Als größter Exporteur der USA war Boeing ein offensichtliches Ziel für chinesische Vergeltungsmaßnahmen. Stattdessen verhängte Peking 2018 eine fünfprozentige Abgabe auf kleine, in den USA gebaute Flugzeuge, während es die größeren Jets, die Boeing herstellt, unangetastet ließ. Das war nach Ansicht von Analysten ein Zeichen dafür, dass China beschlossen hatte, die Versorgung mit Boeing-Flugzeugen nicht zu unterbrechen, um das Wachstum seines Luftfahrtsektors zu schützen.

China ist zwar auch ein wichtiger Kunde für Boeings Konkurrenten Airbus, aber der riesige Auftragsbestand von Airbus macht es Peking schwer, Aufträge auf das europäische Unternehmen zu verlagern und einen Anstieg der Airbus-Lieferungen zu erwarten. Die staatliche Commercial Aircraft Corp of China (Comac) hat einen 737-Konkurrenten entwickelt, der nach jahrelangen Verzögerungen im Jahr 2022 einsatzbereit sein wird, wie das Unternehmen mitteilte. China Eastern wird der erste Kunde für den neuen C919-Jet sein. In Chinas zentral geplantem System kann Peking China Eastern und andere staatliche Fluggesellschaften dazu zwingen, die C919 zu kaufen, wodurch Boeing möglicherweise einige neue Aufträge entgehen würden.

Während einige Analysten glauben, dass Comac sich zu einem ernsthaften Konkurrenten für Airbus und Boeing entwickeln wird, spielen die meisten die Chancen des einheimischen Flugzeugs herunter, das etablierte Duopol in absehbarer Zeit herauszufordern. Boeing eröffnete 2018 in der Nähe von Shanghai seine erste Produktionsstätte außerhalb der USA. In dem sogenannten Finishing Center werden jedoch nur 737-Jets montiert und lackiert, die in den Boeing-Werken in Renton, Washington, gebaut werden. Und - im Gegensatz zu Airbus, das Jets in Tianjin fertigt - hat das Unternehmen nach eigenen Angaben keine Pläne, Flugzeuge in China oder anderswo außerhalb der USA zu produzieren.

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March 23, 2022 06:15 ET (10:15 GMT)