Von Jinjoo Lee

NEW YORK (Dow Jones)--General Motors (GM) und Ford wechseln in die Spur der Online-Gebrauchtwagenhändler. Wie schnell sie diese wohl überholen können? GM kündigte Anfang des Monats an, eine neue Website, Carbravo, einzurichten, die seinen Händlern in den USA helfen soll, alle Arten von Gebrauchtwagen online zu vermarkten und zu verkaufen, nicht nur seine eigenen Modelle. Damit stünde das Unternehmen in direktem Wettbewerb mit Online-Gebrauchtwagenhändlern wie Carvana, Vroom, Shift Technologies und sogar Carmax, das sowohl über eine stationäre als auch eine E-Commerce-Präsenz verfügt. Ford hat im vergangenen Jahr begonnen, in dieses Segment vorzudringen und eine Plattform, Ford Blue Advantage, ins Leben gerufen. Dort können Händler ebenfalls Gebrauchtwagen auflisten und verkaufen, allerdings ist die Plattform auf zertifizierte Fahrzeuge der eigenen Marke beschränkt.

Der Schritt würde GM dabei helfen, sich ein Stück des heiß umkämpften Gebrauchtwagenmarktes zu sichern. Nach Schätzungen von Cox Automotive wurden im Jahr 2021 in den USA fast dreimal so viele Gebrauchtwagen wie Neuwagen verkauft. In diesem Jahr dürften die Neuwagenverkäufe nach Schätzungen von Cox Automotive voraussichtlich leicht zulegen, aber der weltweite Mangel an Chips ist immer noch nicht behoben, und die meiste Bewegung wird weiterhin vom Gebrauchtwagenmarkt ausgehen. In der Vergangenheit konnten die Autohersteller nur auf indirektem Wege vom Gebrauchtwagenmarkt profitieren. Sie stellten den Händlern Gebühren für Teile in Rechnung, die sie für die Aufrüstung von zertifizierten Gebrauchtfahrzeugen benötigten, sagt Analyst Michael Montani von Evercore.


   Kein Grund zur Panik für etablierte Gebrauchtwagenhändler 

Die Investoren in Gebrauchtwagenhändler scheinen richtiggehend aufgeschreckt worden zu sein. Seit der Ankündigung von GM haben Carmax und Carvana zusammen etwa 3,6 Milliarden US-Dollar Marktwert verloren, was etwa drei Jahren des für das vergangene Geschäftsjahr erwarteten Nettogewinns von Carmax entspricht. Die Anleger sollten Carbravo zwar nicht aus den Augen lassen, aber auch nicht in Panik verfallen. Der Erfolg der Online-Plattform von GM wird bis zu einem gewissen Grad davon abhängen, wie viele Händler sich am Ende tatsächlich an dem Programm beteiligen und welche Fahrzeuge diese Händler anbieten. GM hat keine genauen Angaben zur Aufteilung der Einnahmen gemacht, aber laut Montani will GM wohl eine Gebühr von den Händlern für die über die Website getätigten Verkäufe erheben. Das käme dann den Gebühren gleich, die ein Online-Marktplatz von seinen Verkäufern kassiert. Wenn GM sich ein Beispiel an anderen Online-Marktplätzen nehmen würde, könnte es auch Gebühren für andere Dienstleistungen erheben, zum Beispiel für die Bereitstellung von Fahrzeugbewertungen.

Lithia Motors, eines der größten Automobil-Franchise-Unternehmen, verfügt über eine eigene Online-Plattform - Driveway -, auf der sowohl Gebrauchtwagen als auch Neuwagen verkauft werden. Finanzchefin Tina Miller stellt klar, dass die GM-Plattform zwar Konkurrent für Driveway sein könnte, betont aber, dass der Schritt von GM eher darauf abziele, kleineren Händlern, die nicht das Kapital haben, um in E-Commerce zu investieren, Optionen zu bieten.


   US-Händler hängen stark von Gebrauchtwagenverkäufen ab 

Die Händler sind selbst ziemlich stark auf den Verkauf von Gebrauchtwagen angewiesen. Nach Angaben der National Automobile Dealers Association (NADA) machten Gebrauchtwagen in der ersten Hälfte des Jahres 2021 etwa 35 Prozent des Händlerumsatzes aus. Dabei entstammten etwa zwei Drittel der von den Händlern verkauften Gebrauchtwagen aus Inzahlungnahmen.

Außerdem sind Gebrauchtwagen für die Händler profitabler als das Brot-und-Butter-Geschäft mit Neuwagen. Selbst im Jahr 2016, also lange vor dem letztjährigen Anstieg der Gebrauchtwagenpreise, erzielten die Händler nach Angaben der NADA mit Gebrauchtwagen 17 Prozent mehr Bruttogewinn als mit Neuwagen. Die Beschaffung von Gebrauchtwagenbeständen war für kleinere, unabhängige Händler jedoch schwierig. Etwa 42 Prozent der von den Händlern verkauften Gebrauchtwagen wurden nach Angaben der NADA durch Inzahlungnahme beim Kauf von Neufahrzeugen erworben, und die Knappheit hat solche Transaktionen erschwert.


   Carmax und Carvana wollen nicht die Flinte ins Korn werfen 

Wenn die GM-Website einigen von ihnen bei der Beschaffung dieser Fahrzeuge hilft, könnte sie sich als hilfreich erweisen. GM hat noch nicht geklärt, wie es mit den Fahrzeugen, die der Konzern auf diese Weise beschafft, umgehen wird, aber eine Möglichkeit ist, dass er die Autos, die er über die Website in einem bestimmten Ort erwirbt, den Händlern innerhalb der gleichen Postleitzahl anbietet. In jedem Fall bleibt der Gebrauchtwagenmarkt fragmentiert. Carmax, der größte Gebrauchtwagenhändler, hatte im Jahr 2020 einen Marktanteil von etwa 2 Prozent. Die zehn größten Verkäufer machen zusammen weniger als 10 Prozent des Gebrauchtwagenmarktes aus, erläutert Miller.

Was den Gebrauchtwagenhändlern wahrscheinlich Sorgen bereiten sollte, ist die Frage, wie viel Sprit GM noch im Tank hat, falls das Unternehmen beschließt, dass es sich lohnt, viel Geld für die Gewinnung von Gebrauchtwagenmarktanteilen auszugeben. Carvana und Carmax gaben im Jahr 2020 jeweils weniger als 300 Millionen Dollar für Werbung aus. Das Werbebudget von GM liegt jedes Jahr in der Größenordnung von mehreren Milliarden. Montani schätzt, dass GM in vier bis fünf Jahren ein Verkaufsvolumen erreichen könnte, das mit dem von Carmax und Carvana konkurriert. Im Moment ist es noch zu früh, um zu sagen, wie attraktiv das neue Geschäftsfeld für GM-Händler oder für GM selbst sein wird. Die Objekte, die man im Rückspiegel sieht, sind nicht unbedingt so nah, wie sie erscheinen.

Kontakt zur Autorin: unternehmen.de@dowjones.com

DJG/DJN/axw/sha

(END) Dow Jones Newswires

January 25, 2022 09:40 ET (14:40 GMT)