Von Georgi Kantchev

BERLIN (Dow Jones)--Das neu errichtete deutsche Flüssigerdgas-Terminal hat jüngst seine erste volle Ladung aus den USA erhalten. Damit will Berlin nach dem Ende seiner jahrzehntelangen Energiebeziehungen zu Russland seine Versorgung mit Flüssigerdgas (LNG) aufstocken. Die Ladung kam am LNG-Importterminal an der Nordsee an, einer Anlage, die in halsbrecherischer Geschwindigkeit in weniger als einem Jahr gebaut wurde, um Deutschland zu helfen, eine Energieknappheit abzuwenden. Der US-amerikanische Gaslieferant Venture Global Calcasieu, eine Tochtergesellschaft von Venture Global LNG, baut seine Anlagen ebenfalls rasch aus, um die steigende Nachfrage in Europa zu decken. Venture Global LNG sicherte sich im vergangenen Jahr eine Finanzierung in Höhe von 13,2 Milliarden US-Dollar und gab grünes Licht für ein Projekt in der Nähe von New Orleans - die erste neue Anlage in den USA, die seit drei Jahren an den Start ging.

Der Tanker Maria Energy wurde am 19. Dezember in Calcasieu Pass, Louisiana, in einer Anlage beladen, die Venture Global Mitte vergangenen Jahres in Betrieb genommen hat. An Bord sind rund 170.000 Kubikmeter LNG, was nach Angaben von Uniper, dem Betreiber des Terminals in Wilhelmshaven, ausreicht, um rund 50.000 deutsche Haushalte ein Jahr lang mit Energie zu versorgen. Russland, das vor dem Krieg in der Ukraine mehr als die Hälfte der deutschen Gasimporte lieferte, hat die Ausfuhren im vergangenen Jahr eingestellt, was EU-Beamte als wirtschaftliche Vergeltung für Berlins Unterstützung der Ukraine bezeichneten. Da die deutsche Industrie und die Haushalte in hohem Maße auf den Brennstoff angewiesen sind, bemühte sich das Land, Gas von anderen Exporteuren zu beziehen und eigene Anlagen für den Import von LNG zu bauen.


   Milde Witterung spielt deutscher Industrie in die Karten 

"Die Nutzung von LNG als zuverlässige Energiequelle ist für die Versorgungssicherheit Deutschlands und Europas von entscheidender Bedeutung", betont Niek den Hollander von Uniper. Angesichts einer möglichen Gasknappheit und wirtschaftlich ruinöser Rationierungen verlängerte Deutschland auch die Nutzung seiner letzten drei Kernkraftwerke bis April und reaktivierte Kohlekraftwerke. Dank der milderen Witterung und der geringeren Nachfrage seitens der Verbraucher sowie der Industrie - teilweise auf Kosten von Werksschließungen und Insolvenzen - konnte Deutschland seine Gasspeicher vor der Heizperiode im Winter fast bis zum Rand füllen. Das Wetter ist jedoch nach wie vor ein großer Unsicherheitsfaktor, wobei ein Kälteeinbruch Anfang Dezember die Nachfrage nach Gas ankurbelte. In jüngster Zeit erlaubten es die überdurchschnittlich warmen Temperaturen Europa, einen Teil seiner Tanks wieder aufzufüllen.

Die Herausforderung für Deutschland und Europa besteht darin, wie das russische Gas in diesem Jahr ersetzt werden kann. Schließlich hat Moskau in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres noch den größten Teil seiner üblichen Mengen geliefert, was dazu beitrug, die Gastanks zu füllen. Als Hauptalternative hat sich LNG herauskristallisiert, das auf minus 260 Grad Celsius gekühlt wird, um in eine Flüssigkeit umgewandelt zu werden, die in Hochseetankern verschifft werden kann. Wenn es von den großen LNG-Exporteuren wie den USA oder Katar an den Importterminals ankommt, wird es wieder in Gas umgewandelt und in das Netz eingespeist. Im November unterzeichnete Katar, einer der weltweit größten Exporteure von LNG, sein erstes langfristiges Abkommen mit Europa, um Deutschland mit Gas zu versorgen, auch wenn es sich dabei nur um ein kleines Geschäft handelt.


   EU setzt voll und ganz auf LNG 

Dutzende von LNG-Anlagen sollen in den kommenden Jahren in der gesamten EU gebaut werden. Brüssel schätzt, dass die Beendigung der Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen bis 2030 zusätzliche Infrastrukturkosten in Höhe von mindestens 300 Milliarden Euro verursacht. Der Bau von LNG-Terminals dauert in der Regel Jahre. Aber Deutschland konnte Wilhelmshaven innerhalb weniger Monate aus dem Boden stampfen, musste dabei jedoch mit Herausforderungen wie der schnellen Beschaffung von Baumaterialien und potenziell giftigem Boden kämpfen. Die Anlage wird als schwimmendes LNG-Terminal bezeichnet, da sie auf einem riesigen Spezialtanker untergebracht ist.

Das Terminal in Wilhelmshaven ist eine von mehreren Anlagen dieser Art, die in dem Land vorbereitet werden, um eine Energieknappheit abzuwenden. Berlin hatte mehr als 6,5 Milliarden Euro für solche Terminals im Jahr 2022 veranschlagt. Bundeskanzler Olaf Scholz eröffnete Mitte Dezember den Terminal, der rund 5 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr umschlagen kann, was fast 6 Prozent des deutschen Jahresverbrauchs im Jahr 2021 entspricht. Die aktuelle Anlieferung der LNG-Ladung ist Teil des Inbetriebnahmeprozesses des Terminals, dessen kommerzieller Betrieb Mitte Januar beginnen soll, so Uniper. "Als strategische Partner freuen wir uns darauf, unseren Verbündeten durch die kontinuierliche Lieferung von sauberem und zuverlässigem US-LNG eine langfristige Energieversorgungssicherheit zu bieten", sagt Venture-Global-Chef Mike Sabel.

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January 04, 2023 04:06 ET (09:06 GMT)