Goris (Reuters) - Die selbst ernannte Armenier-Republik in der Region Bergkarabach mitten in Aserbaidschan hört nach drei Jahrzehnten auf zu existieren.

Von 1. Januar 2024 an würden die Republik Arzach und ihre Institutionen aufgelöst, teilten die Behörden der ethnischen Armenier am Donnerstag mit. Der Präsident der Republik Arzach, Samwel Schahramanjan, habe ein entsprechendes Dekret unterzeichnet. Das kommt einer Kapitulation gegenüber Aserbaidschan gleich und ist für dessen Präsident Ilham Alijew ein Triumph. Denn damit gewinnt Aserbaidschan die völlige Kontrolle über das einst überwiegend von ethnischen Armeniern bewohnte Gebiet auf seinem Staatsgebiet zurück. Inzwischen haben mehr als die Hälfte der ethnischen Armenier die Kaukasusregion Bergkarabach verlassen. In den kommenden Tagen werde es dort keine Armenier mehr geben, sagte der Ministerpräsident des Staates Armenien, Nikol Paschinjan, der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge.

International anerkannt war die 1991 ausgerufene Unabhängigkeit dieses Gebietes nie. Doch kontrollierten die ethnischen Armenier die Region mit Hilfe der Regierung in Eriwan weitgehend. Am Dienstag vergangener Woche jedoch hatte Aserbaidschans Militär das Gebiet angegriffen. Einen Tag später stimmten die ethnischen Armenier in Bergkarabach einer Feuerpause zu. Für sie ist es eine Niederlage und eine nationale Tragödie.

PASCHINJAN: "EIN AKT DER ETHNISCHEN SÄUBERUNG"

"Die Analyse der Lage zeigt, dass es in den kommenden Tagen keine Armenier mehr in Bergkarabach geben wird", sagte Paschinjan Interfax zufolge. "Dies ist ein Akt der ethnischen Säuberung." Die aserbaidschanische Regierung in Baku bestreitet diesen Vorwurf. Die ethnischen Armenier würden nicht zur Ausreise gezwungen. Sie würden - wenn sie denn blieben - friedlich integriert, ihre Bürgerrechte blieben gewahrt, versprach die Regierung in Baku.

Doch die Armenier in Bergkarabach trauen dem nicht. Sie teilen mit Aserbaidschan eine lange Geschichte des Blutvergießens. Armenien und Aserbaidschan waren einst beide Sowjetrepubliken. Mit dem Niedergang der Sowjetunion brach Ende der 1980er Jahre der Konflikt zwischen beiden Seiten offen aus. Es gab Massenvertreibungen - auf beiden Seiten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion Ende 1991 erklärten sich die ethnischen Armenier in Bergkarabach für unabhängig und riefen die Republik aus. De facto erkämpften sie sich die Unabhängigkeit im Krieg 1992 bis 1994. Zwar gingen im nächsten Krieg 2020 Gebiete an Aserbaidschan verloren. Doch die Kontrolle blieb bei den ethnischen Armeniern - bis jetzt.

Heute fliehen die Armenier zu Tausende aus Bergkarabach und versuchen, über die gewundenen Straßen in den Bergen nach Armenien zu gelangen. Bislang seien dort rund 68.400 Menschen angekommen, teilte Paschinjans Sprecherin mit. Insgesamt lebten in dem inmitten von Aserbaidschan gelegenen Gebiet 120.000 ethnische Armenierinnen und Armenier. Für Armenien ist der Zustrom aus Bergkarabach eine Herausforderung. In dem Land selbst leben nur 2,8 Millionen Menschen, und die Zahl derer, die Bergkarabach verlassen, steigt rasch an. Sie reisen in schwer beladenen Autos, in Lastwagen und Bussen, sogar mit Traktoren. Viele berichten von Angst und Hunger. "Dies ist eine der dunkelsten Seiten der armenischen Geschichte", sagt Pater David, ein armenischer Priester, der an die Grenze kam, um den Ankommenden beizustehen. "Die ganze armenische Geschichte ist voller Nöte."

(Bericht von: Felix Light, Nailia Bagirova und Anton Kolodyazhnyy, geschrieben von Sabine Ehrhardt, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)