-- Scholz: Bafin handelte im Rahmen gesetzlicher Möglichkeiten

-- Minister: Keine "schützende Hand" über Wirecard

-- Irritation über E-Mails vom Privataccount

(NEU: weitere Aussagen)

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat im Wirecard-Skandal den gegen ihn gerichteten Vorwurf eigener Verantwortung zurückgewiesen und Versäumnisse der Wirtschaftsprüfer betont. "Die Verantwortung für diesen groß angelegten kriminellen Betrug trägt nicht die Bundesregierung", sagte Scholz bei seiner Befragung im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Zu einer Kontroverse kam es um von Scholz über seinen privaten Account versendete E-Mails im Zusammenhang mit Wirecard.

Die Frage, ob er persönliche Verantwortung für die zu späte Aufdeckung des Betrugs trage, beantwortete Scholz mit: "Nein". Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) habe "in den Jahren, in denen ich verantwortlich war, im Rahmen ihrer gesetzlichen Möglichkeiten gehandelt". Jedoch sei die Aufsicht für solch einen Fall nicht gerüstet gewesen. Ein "absurdes Märchen" sei es hingegen, dass die Bafin oder das Finanzministerium "eine schützende Hand über das Unternehmen gehalten hätte". Scholz verwies auf die inzwischen von ihm eingeleiteten Schritte zu einer Neuaufstellung der Aufsicht. Er betonte, "lange, zu lange" sei allein den Beteuerungen der Wirtschaftsprüfer geglaubt worden, die die Abschlüsse immer wieder testiert hätten.

Ausdrücklich betonte der Finanzminister, es habe von seiner Seite "keine besondere Fürsorgebetreuung für die Wirecard AG" gegeben. Behauptungen, das Unternehmen habe beim deutsch-chinesischen Finanzdialog im Januar 2019 eine Rolle gespielt, wies Scholz zurück: "Das Unternehmen Wirecard ist bei keinem meiner Gespräche in Peking zur Sprache gekommen." Anderes zu behaupten, sei "schlichtweg abwegig". Zu in dem Ausschuss zitierten E-Mails aus der deutschen Botschaft in Peking, nach denen ein Marktengagement von Wirecard vorbereitet wurde, könne er "aus eigenem Wissen nichts beitragen", betonte Scholz. "Das müssen Sie die Botschaft fragen."


 
Vom Leerverkaufsverbot erfuhr Scholz aus den Nachrichten 

Von dem von der Bafin ausgesprochenen Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien habe er im Februar 2019 "aus dem Nachrichtenticker erfahren", berichtete Scholz. Darauf habe er eine Mail an seinen Staatssekretär Jörg Kukies geschickt, am 19. Februar habe es dann einen Vermerk seines Hauses dazu gegeben. "Ich hatte den Eindruck, dass alles Erforderliche in Gang gesetzt war", erklärte Scholz. Er selbst sei im Ministerium jedoch "nicht in jede einzelne Entscheidung eingebunden". Als "völlig richtig" verteidigte Scholz es, dass man Hilfen für Wirecard "geprüft und verworfen" habe.

Zu heftiger Kritik führte in dem Ausschuss, dass Scholz im Zusammenhang mit Wirecard laut Dokumenten auch über seinen privaten Mailaccount kommunizierte. Eine solche Mail, die ihm Unions-Obmann Matthias Hauer (CDU) vorlegte, ging an Kanzleramtschef Helge Braun und befasste sich mit der Kündigung des Vertrages der DPR. "Mit Herrn Braun tausche ich mich im Wesentlichen über meine persönliche Adresse aus, das hat sich bei uns beiden so eingebürgert", sagte Scholz dazu.

Zwei weitere Mails, mit denen der CDU-Abgeordnete Scholz konfrontierte, betrafen laut dem Finanzminister vermutlich die Weiterleitung von Zeitungsartikeln - er mache dies oft über seinen privaten Account, "weil der nicht so kompliziert ist wie der staatliche". Von ihm versandte Mails lösche er dann "regelmäßig". Der Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk (AfD) forderte Scholz daraufhin dazu auf, zu erklären, dass nun alle Mails vorgelegt seien und eventuell weitere unverzüglich nachzuliefern. "Uns hat missfallen, dass wir den Eindruck erhalten konnten, dass einige Messengerdienste oder private Accounts , was unseren Beweisbeschluss betrifft, nicht vorgelegt wurden", betonte er.


 
Ministerium sieht sich nicht als zweite Entscheidungsbehörde 

Ausdrücklich verteidigte Scholz, dass das Finanzministerium nicht gegen das umstrittene Leerverkaufsverbot vorgegangen sei. "Das Ministerium hat damals ordnungsgemäß gehandelt." Aus heutiger Sicht räumte Scholz allerdings "erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung" der Bafin ein. Sein Ministerium begreife sich aber "nicht als zweite Entscheidungsbehörde" und sei "nicht dazu aufgerufen, eine solche Entscheidung zu fällen oder zu genehmigen". Zuvor hatte bereits Finanzstaatssekretär Kukies bei seiner bis zum frühen Donnerstagmorgen dauernden Vernehmung betont, die Bafin habe beim umstrittenen Leerverkaufsverbot unabhängig agiert.

Laut Bundestags-Pressedienst sagte Kukies, er sei im Finanzministerium mit der Krisenreaktion befasst gewesen, habe den Fall Wirecard kurz und intensiv geprüft, dann aber "alle Möglichkeiten eines Eingriffs schnell verworfen" und die "Insolvenz nicht mehr aufgehalten". Er habe auch nicht etwa Banken wie die staatliche KfW Ipex gedrängt, Kredite zu verlängern. Man habe damals keine Anhaltspunkte gehabt, dass die DPR zu langsam prüft. "Wir hatten keine Zweifel, dass das läuft", erinnerte sich Kukies laut den Angaben. Im Nachhinein wisse man allerdings mehr darüber, was alles schiefgelaufen sei. "Die DPR war äußerst langsam."

In dem Skandal um den mittlerweile insolventen Finanzdienstleister ist in dieser Woche die Rolle der Politik ins Zentrum gerückt: Ab Dienstag standen die politisch Verantwortlichen in dem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort, am Freitag wird schließlich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aussagen. Dabei geht es um ihre Rolle wegen des Engagements für Wirecard bei einer China-Reise im Herbst 2019.

Bei dem damaligen DAX-Unternehmen Wirecard waren im Juni 2020 Luftbuchungen von fast 2 Milliarden Euro öffentlich geworden, es befindet sich mittlerweile in einem Insolvenzverfahren. Ex-Wirecard-Chef Markus Braun sitzt in Haft, Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek ist flüchtig. Der Untersuchungsausschuss will bis Juli einen Abschlussbericht vorlegen, der dann voraussichtlich in der letzten Sitzungswoche der Legislaturperiode im Bundestag diskutiert werden soll.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

DJG/ank/jhe

(END) Dow Jones Newswires

April 22, 2021 09:21 ET (13:21 GMT)