Von William Boston

BERLIN (Dow Jones)--Nach der Pandemie und einer globalen Chip-Krise hat Russlands Krieg in der Ukraine die dritte Krise in der Lieferkette der Autohersteller in ebenso vielen Jahren ausgelöst. Wegen Kämpfen in der Ukraine mussten kleine, aber wichtige Zulieferer der Branche Werke weit entfernt von der Konfliktzone schließen. Zugleich behinderten Sanktionen und unterbrochene Handelswege die Lieferung von Autos und Teilen nach und aus Russland, das einst als Wachstumsmarkt galt. Europäische Autohersteller wie Renault, zu der das russische Unternehmen Avtovaz gehört, das die Marke Lada produziert, VW und ihre Marken Audi und Skoda sowie Porsche gehören zu den Unternehmen, die am stärksten unter dem Krieg leiden.

VW will "vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine und den daraus resultierenden Folgen" die Produktion von Fahrzeugen in Russland und die Exporte in das Land mit sofortiger Wirkung und bis auf Weiteres stoppen. Die Auswirkungen sind nicht auf Europa beschränkt. Bis Mitte dieser Woche hatten fast ein Dutzend globaler Automobilhersteller ihre Geschäfte in Russland eingestellt, einige schlossen ihre Fabriken auf unbestimmte Zeit.

Toyota will die Pforten in seinem Werk in St. Petersburg bis auf weiteres geschlossen halten. Ford setzte sein Joint Venture mit dem russischen Unternehmen Sollers aus und stoppte zudem die Verkäufe in das Land. Das südkoreanische Unternehmen Hyundai, einer der größten Automobilhersteller in Russland, machte sein Werk in St. Petersburg dicht und gab an, dass es hoffe, in einer Woche wieder öffnen zu können.


   Lieferketten noch angespannter 

Nachdem VW die Produktuon in zwei Fabriken in Ostdeutschland unterbrechen musste, leidet der Konzern nun wegen fehlender Teile aus der Ukraine nach eigenen Angaben auch in einem Vorzeigewerk in Westdeutschland unter dem Krieg. Und Hersteller, die Werke in Russland betreiben, berichten, dass die Belastung der Lieferketten durch den Ausschluss Russlands aus dem internationalen Interbankenzahlungssystem Swift noch verstärkt wurde. Die Blockade des russischen Luftraums und die Unterbrechung der Schifffahrtswege haben den Warenverkehr weiter reduziert. Der Konflikt ist ein neuer Schlag für die Industrie und könnte weit über den Sektor hinaus ausstrahlen, der in weiten Teilen des Westens zu den größten industriellen Arbeitgebern zählt.

Analysten zufolge dürften die anfänglichen Auswirkungen des Krieges die weltweite Fahrzeugproduktion in diesem Jahr um schätzungsweise 1,5 Millionen Fahrzeuge verringern. Das sind 2 Prozent weniger als die 84,2 Millionen Fahrzeuge, die IHS Markit für die Branche vor dem Krieg prognostiziert hatte. Doch das ist das optimistische Szenario, wie Analystin Stephanie Brinley von IHS Markit warnt. "Die Produktion könnte auch um 3 Millionen Fahrzeuge nachgeben." Noch sei es aber viel zu früh, um zu wissen, wie stark die globalen Lieferketten durcheinander gerüttelt würden. "Wir haben keinen Überblick."

Schon vor dem Krieg in der Ukraine kämpfte VW damit, die Fließbänder in seinem Hauptwerk in Wolfsburg am Laufen zu halten, da es weltweit zu Engpässen und Unterbrechungen der Handelswege kam. Als der Krieg in der Ukraine begann, schlossen Dutzende von Autoteileherstellern ihre Fabriken in diesem Land. Obwohl die Ukraine nur über eine kleine Autoteileindustrie verfügt, hat sie sich zu einem wichtigen Lieferanten von Kabelbäumen entwickelt, die für die Organisation der Verkabelung eines Autos und die Verbindung der verschiedenen Komponenten benötigt werden.


   Auch ID.4-Fertigung betroffen 

Zu den Zulieferern solcher Systeme mit Werken in der Ukraine gehören Leoni, die japanische Fujikura, Aptiv und Nexans. Die Arbeit in diesen Fabriken wurde fast unmittelbar nach Beginn des russischen Einmarsches eingestellt, wovon nicht nur die deutschen, sondern auch die osteuropäischen VW-Standorte betroffen waren. VW hat diese Woche sein Werk in Zwickau in Ostdeutschland stillgelegt, wo das Elektroauto ID.4 für den europäischen Markt und für den Export in die USA hergestellt wird. Bald dürfte auch die Produktion im Stammwerk in Wolfsburg zu stottern beginnen und womöglich demnächst wegen fehlender Teile eingestellt werden. Porsche hat die Produktion in seinem Werk in Leipzig gestoppt, wo die Limousine Panamera und der Geländewagen Macan hergestellt werden. Die Unterbrechung der Produktion in dem Werk könnte die Fähigkeit von Porsche beeinträchtigen, die beliebten Modelle an Kunden in aller Welt zu liefern.

Skoda, die tschechische VW-Tochter, verkaufte im vergangenen Jahr 90.400 Autos in Russland, seinem zweitgrößten Markt nach Deutschland. Die Tochterfirma baut Fahrzeuge in den VW-Mehrmarkenfabriken in Nischni Nowgorod und Kaluga, wo das Unternehmen nun den Betrieb eingestellt hat. Skoda teilte außerdem mit, dass es den Betrieb in einem Werk im ukrainischen Solomonovo, wo sein Partner Eurocar Modelle montiert, eingestellt hat. In seinem Hauptwerk in Mlada Boleslav in der Tschechischen Republik hat der Autohersteller die Produktion seines vollelektrischen Enyaq Hatchback wegen eines Mangels an lokalen Teilen zurückgefahren.

BMW kündigte an, die Produktion in seinem Hauptwerk in Dingolfing in der nächsten Woche zu unterbrechen. Ein Sprecher sagte, dass das Unternehmen dort täglich bis zu 1.600 Autos baut, darunter die Flaggschiffe der 5er-, 7er- und 8er-Limousinen.


   Leoni schließt Werke 

Leoni hat seine Fabriken in Stryji und Kolomyja zu Beginn der Kämpfe geschlossen, nachdem es nach Angaben eines Sprechers in der Nähe zu Explosionen durch russische Raketen gekommen war. Der Konzern prüft die Möglichkeit, die Produktion aus den ukrainischen Werken in Fabriken in Nachbarländern wie Rumänien oder in bestehende Werke in Nordafrika zu verlagern. In Russland selbst, wo die Sanktionen es westlichen Unternehmen nahezu unmöglich machen, Geschäfte abzuschließen, gehen den Autoherstellern allmählich die Teile aus, so dass sie ihre Fabriken schließen und die Importe aussetzen. So will etwa Toyota wegen Teilemangels seine Produktion in Russland noch diese Woche aussetzen. Nach Konzernangaben wird auch der Verkauf von importierten Fahrzeugen in Russland abgebrochen.

Die Anleger haben sich von den Aktien der Unternehmen, die stark in Russland engagiert sind, abgewandt. Vor dem Krieg erwirtschaftete Renault laut einer Studie von Citi etwa 8 Prozent seines Gewinns vor Zinsen und Steuern (EBIT) aus dem Russlandgeschäft. Die Renault-Aktien sind seit Mitte Februar, als Anleger das Unternehmen zu Russland und der Ukraine befragten, um 30 Prozent abgestürzt. Ein Investor fragte das Management, welche Auswirkungen es auf Renault hätte, "wenn sich die geopolitischen Verhältnisse ein wenig verschärfen würden". Finanzchefin Clotilde Delbos sagte damals, dass das finanzielle Risiko von Avtovaz und nicht von Renault getragen werde, da die Schulden und die Finanzierung des russischen Unternehmens lokal und ohne Unterstützung von Renault seien. "Sie sind völlig autark, auch wenn sie verschuldet sind, insbesondere Avtovaz", beteuerte sie. "Aber es ist rein lokal."


   Auch Geschäfte der Chinesen geraten ins Stocken 

Auch chinesische Autohersteller haben in Russland Fuß gefasst und sind besorgt über die Auswirkungen des Krieges auf ihr Geschäft. Great Wall Motors eröffnete 2019 ein Werk in Russland und konnte seinen Absatz im vergangenen Jahr mehr als verdoppeln. Chery Automobile hat seinen Absatz in Russland im Jahr 2021 mehr als verdreifacht und sucht nach eigenen Angaben einen lokalen Partner in Russland, um dort Elektrofahrzeuge zu produzieren. "Der Russland-Ukraine-Konflikt bedeutet ein großes Risiko für die chinesische Autoindustrie", schreibt Cui Dongshu, Generalsekretär des chinesischen Autoverbandes, auf seinem Wechat-Account in den sozialen Medien. Cui warnt die chinesischen Autoexporteure, sich auf die Risiken der Rubelabwertung einzustellen.

(Mitarbeit: Nick Kostov, Sean McLain, Nora Eckert und Raffaele Huang)

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March 04, 2022 09:03 ET (14:03 GMT)