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FRANKFURT (dpa-AFX) - Der Bilanzskandal um Wirecard hat die Aktien des Zahlungsabwicklers am Montag noch tiefer in den Abwärtsstrudel gerissen. Sie schlossen mit einem Minus von gut 44 Prozent auf 14,44 Euro. Damit sind sie nun binnen drei Handelstagen um rund 86 Prozent eingebrochen.

Damit schrumpfte der Börsenwert auf knapp 1,8 Milliarden Euro, womit sich seit Mittwoch rund 11 Milliarden Euro in Luft aufgelöst haben. Ein solch heftiger Kursabsturz in so kurzer Zeit ist für den Dax quasi einmalig und die Zeichen stehen auf Index-Abschied im September. Allenfalls die Entwicklung des in der Finanz- und Wirtschaftskrise verstaatlichten Immobilienfinanziers Hypo Real Estate im Herbst 2008 hält einem Vergleich stand.

Auslöser der neuerlichen Wirecard-Talfahrt: Der Konzern geht inzwischen davon aus, dass Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro, die bisher als Aktivposten in der Bilanz ausgewiesen waren, "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen". Die Zukunft von Wirecard hängt nun vom Wohlwollen der Banken ab.

Unterdessen hat der Wirecard-Aufsichtsrat den Vertrag mit Vorstand Jan Marsalek außerordentlich gekündigt. Zudem sei Marsalek mit sofortiger Wirkung abberufen worden, teilte das Unternehmen am Montag mit. Der Manager war im Zuge des Bilanzskandals bei dem Unternehmen bereits freigestellt worden. Er war jahrelang als Chief Operating Officer für das Tagesgeschäft zuständig gewesen.

Ein Händler zeigte sich kaum überrascht, dass die Aktie weiter "wie ein Stein" fällt, nachdem bereits am Donnerstag Panik rund um Wirecard aufgekommen war. "In das fallende Messer will keiner reingreifen", sagte er. "Die Zukunft des Unternehmens ist aktuell mehr als unsicher." Hinzu dürfte eine Klagewelle kommen.

Der Chef der Finanzaufsicht Bafin sprach von einem "kompletten Desaster" und gab sich selbstkritisch: "Wir sind nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert", räumte Behördenpräsident Felix Hufeld bei einer Bankenkonferenz in Frankfurt ein. "Wir befinden uns mitten in der entsetzlichsten Situation, in der ich jemals einen Dax-Konzern gesehen habe."

Nachdem die Wirtschaftsprüfer von EY das Testat für den Jahresabschluss wegen der fehlenden Gelder verweigert hatten, könnten Banken Wirecard nun den Geldhahn abdrehen. Außerdem nahm Wirecard in der Folge nicht nur seine vorläufige Einschätzung für das Geschäftsjahr 2019 zurück, sondern auch die Zahlen für das erste Quartal und die Prognosen für 2025. Mögliche Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorangegangener Geschäftsjahre werden zudem nicht ausgeschlossen.

In die Reihe der geschockten Analysten reihte sich auch James Goodman von der britischen Großbank Barclays ein. Er setzte die Bewertung der Aktie aus. Wegen des fehlenden Revisionsabschlusses und eskalierender Bedenken über die Rechnungslegung habe er nicht genügend Informationen, aus denen er ein glaubwürdiges Rating und Kursziel ableiten könne, begründete er wie in der Vorwoche bereits viele Kollegen seine Entscheidung. Einziger Lichtblick sei, dass die Kredite nicht sofort fällig gestellt worden seien, schrieb Analyst Markus Jost von Independent Research.

Analyst Wolfgang Specht vom Düsseldorfer Bankhaus Lampe hält angesichts des Bilanzskandals nun das schlimmstmögliche Wirecard-Szenario für möglich. Für den Zahlungsabwickler sei die Lage existenzbedrohend. Das Unternehmen müsse nun ein massenhaftes Stornieren von Aufträgen seitens der Kunden vermeiden.

Leicht dürfte das kaum werden, zumal nun auch die Ratingagentur Moody's erneut reagierte. Sie zog ihr erst am späten Freitagabend gesenktes Bonitätsurteil "Ramsch" komplett zurück. Die vorliegenden Informationen seien unzureichend, um überhaupt eine Bewertung über die Kreditwürdigkeit abzugeben, hieß es./edh/ck/ag/mis